Interview mit Hans-Peter Bartels in der Zeitschrift "Europäische Sicherheit und Technik" im April 2014

ES&T:

Eine erste Evaluierung der Neuausrichtung der Bundeswehr steht an. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

MdB Dr.Bartels:

Für uns in der neuen Koalition ist klar, dass wir keine weitere umfassende Reform anstoßen können. Mit den bisher fünf Strukturmodellen nach Ende des Kalten Krieges hatte die Bundeswehr genug zu kämpfen. Jetzt muss einmal eine geplante Struktur auch eingenommen werden. In den kommenden Monaten wollen wir deshalb eine Nachjustierung nur an den Stellen in der Koalition verabreden, wo die Neuausrichtung zu neuen Problemen statt zu Lösungen führt. Da kann es sich um einzelne Umstationierungen handeln, die wirtschaftlich nicht zu begründen sind und noch nicht in die Wege geleitet wurden.

Foto: Bundeswehr/ Schulze; CC 2.0

Foto: Bundeswehr/ Schulze; CC 2.0

Es kann sich auch um Strukturfragen handeln, die mit noch zu treffenden Rüstungsentscheidungen zusammenhängen, Stichworte: Hubschrauber, Eurofighter. Es kann  beispielsweise im Heer um Veränderungen gehen, die den auslaufenden Einsatz in Afghanistan besser berücksichtigen. Beim Nachsteuern darf aber jetzt nicht noch einmal an jedem Rädchen gedreht werden, nur weil es geht. Nicht jeder Minister braucht ein eigenes Bundeswehrmodell, um erfolgreich zu sein. Dinge vernünftig zu Ende zu bringen, kann auch zu Nachruhm führen.

ES&T:

Hat sich die Ausgliederung der Führungsstäbe der militärischen Organisationsbereiche aus dem Ministerium bewährt?

MdB Dr. Bartels:

So nicht. Die Zusammenlegung von Ämtern  und Führungsstäben an der Spitze der Teilstreitkräfte war richtig. Die Bundeswehr ist kleiner geworden sie kann schlanker geführt werden. Die Inspekteure allerdings komplett von jeder Mitverantwortung im Ministerium zu entbinden, fand ich nicht klug. Wir haben die ersten Friktionen, die sich aus diesem neuen Spannungsverhältnis von Zentrale und Peripherie ergeben können, bereits erlebt.

Solche vorprogrammierten Konflikte sollte man vermeiden.

ES&T:

Die neue Ministerin hat zu Beginn ihrer Amtszeit einen Schwerpunkt auf das Thema „Attraktivität des Dienstes“ gelegt. Wo liegen nach Ihrer Auffassung hier aktuell die Stärken und Schwächen der Bundeswehr? Was ist zu tun – gerade auch mit Blick auf die demographische Entwicklung und die zunehmende Konkurrenz am Arbeitsmarkt um qualifizierte Nachwuchskräfte?

MdB Dr. Bartels:

Der erste Akzent der Ministerin war genau richtig. Die Verbindung von Familie und Dienst ist ein Thema, das sie selbst von Anfang an mit hoher Glaubwürdigkeit verfolgt. Wir waren zugegebenermaßen überrascht, dass es dazu bereits Vorarbeiten im Ministerium gab, die der Amtsvorgänger in den Koalitionsverhandlungen für sich behalten hat. Das Arbeitszeitgutachten der Beratungsfirma KPMG zeigt, dass Überstunden im Grundbetrieb für normal gehalten werden. Aber darf das der Normalfall sein? Manche Auswüchse unserer militärischen Präsenzkultur sind vormodern. Der Grundbetrieb muss so organisiert sein, dass er konkurrenzfähig mit anderen Arbeitgebern ist. Das betrifft dann auch die Bezahlung. Dazu werden wir zum Beispiel noch einmal über das Zulagenwesen sprechen müssen. Erforderlich ist zudem ein flexibles Personalkonzept, das zum Ziel der „Vereinbarung“ von Familie und Soldatenberuf passt. Schließlich wird das Selbstbild, das Soldaten von sich in der Gesellschaft gezeichnet sehen wollen, entscheidend sein für die Attraktivität in den nachwachsenden Jahrgängen. Interessante Frage, die da zu entscheiden ist: Setzen wir auf den frischgebügelten „Stolz“ von Papas Liebling oder auf das „Hinkriegen“, das Aufragerfüllen auch unter Schwierigkeiten, bei unklarer Lage, weit weg von zu Hause?

 

ES&T:

Der ISAF-Einsatz wird zum Ende dieses Jahres beendet. Welche Bilanz ist zu ziehen? Wie wird das deutsche Engagement über 2014 hinaus aussehen können?

 

MdB Dr. Bartels:

Licht und Schatten. In Afghanistan ist vieles besser geworden als 2001. Die sehr junge Bevölkerung ist unter  besseren Bedingungen aufgewachsen als die Eltern. So ist beispielsweise die medizinische Versorgung revolutioniert, ebenso die Kommunikation mit Handy und Internet. Dennoch bleibt Afghanistan ein Land unterschiedlicher Geschwindigkeiten, vieles ist noch in den letzten Jahrhunderten verhaftet. Es gibt noch alte Verhaltensmuster, die wir nicht ändern konnten. Vielleicht waren unsere Ansprüche auch zu hoch. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass es einen Rückfall in die Zeit des Bürgerkriegs der 1990er Jahre gibt. Für die Sicherheit des Landes wird nun der afghanische Staat selbst verantwortlich sein. Wir gehen aber nicht ganz raus, der Westen wird weiter Hilfe leisten. Als Fazit für den Einsatz der Bundeswehr kann man heute gewiss sagen, dass „Afghanistan“ kein Muster für andere Einsätze darstellt.

ES&T:

Die Bundeswehr ist bereits heute in einem geringen personellen Umfang an Missionen auf dem afrikanischen Kontinent beteiligt. In jüngster Zeit mehren sich Stimmen, die hier ein größeres Engagement der Europäer und auch der Deutschen fordern. Welchen Beitrag kann Deutschland aus Ihrer Sicht zu Sicherheit und Stabilität auf dem afrikanischen Kontinent leisten?

MdB Dr. Bartels:

Auf dem afrikanischen Kontinent sind die Konflikte gewiss nicht alle gleich – Libyen, Sudan, Zentralafrika, Kongo …  Jede Krise ist anders. Aber wir haben uns entschieden, dass wir in Afrika nicht wegsehen wollen wie damals im Fall Ruanda. Europa und Deutschland müssen rechtzeitig auf sich abzeichnende Krisen reagieren. Dabei sind nicht in erster Linie militärische Mittel gefragt. Sollte aber doch Militär erforderlich sein, dann geht die Frage erst einmal an die Afrikanische Union oder andere Regionalorganisationen. Wenn darüber hinaus ein Bedarf an Ausbildung, Transport oder Führungsunterstützung besteht, kann Europa solche Unterstützung anbieten. Aber wir können  und wollen nicht die Sicherheitsverantwortung für ein ganzes Land übernehmen wie früher auf dem Balkan oder in Afghanistan. Hier geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist ein bescheidener Ansatz, der aber – Beispiel Mali – sehr wirksam sein kann.

ES&T:

      Welche Erfolge hat die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU bereits vorzuweisen? Was dürfen wir in den nächsten Jahren in realistischer Betrachtung an Fortschritten auf diesem Gebiet erwarten?

     MdB Dr. Bartels:

Auf diesem Gebiet stehen wir inzwischen längst nicht mehr bei Null. In allen Einsätzen arbeiten wir multinational, im Friedenbetrieb aber noch nicht. Das ändert sich jetzt langsam. So betreiben beispielsweise Belgien und die Niederlande eine gemeinsame Marine. Wir sind mit den Niederlanden etwa in der Panzertruppenkooperation eng verflochten. Demnächst wird die niederländische luftbewegliche Brigade der deutschen Division Schnelle Kräfte unterstellt. Das sind ermutigende Einzelschritte auf dem Weg zu europäischen Streitkräften. Die Lageentwicklung auch im Osten zeigt, dass wir mehr Europa brauchen. Mit dem gleichen Geld kann mehr geschaffen werden, wenn wir die Mittel gezielt gemeinsam einsetzen. Ich will nicht darauf warten, dass wir zuerst das Gesamtkonzept für eine europäische Armee in allen 28 Ländern ratifiziert haben um anzufangen, sondern ich erwarte, dass die normative Kraft des Faktischen dafür sorgen wird, dass sich irgendwann aus einer Vielzahl von Einzelkooperationen eine neue Qualität ergibt. Dann schlägt die Stunde für das „Gesamtkonzept“! Heute müssen wir nur das Ziel und die Marschordnung auf dem Weg dorthin kennen. Eine dieser Ordnungsideen steht im Lissabon-Vertrag: Das ist die ständige strukturierte Zusammenarbeit, mit mehrere Länder beginnen können, etwas gemeinsam zu machen, wenn noch nicht alle bereit dazu sind. Auch das ist dann Europa. Unterhalb dieses ständigen Zusammenarbeitsmechanismus gibt es heute bereits zahlreiche bi- und trinationale Kooperationen wie beispielsweise 120 verschiedene Projekte zwischen dem deutschen und dem polnischen Heer oder 27 zwischen der deutschen und der polnischen Marine. Das ist der Weg! Weitere Stichworte: deutsch-französische Hubschrauberausbildung für NH 90 und Tiger. Vielleicht geht auch in Bereich Fallschirmjägerausbildung bald mehr gemeinsam.

ES&T:

      Mehrere Rüstungsprojekte sind in den vergangenen Jahren in die Kritik  geraten. Was können Amtsseite und Industrie dafür tun, dass Vorhaben in Zukunft auch an künftige Fähigkeiten ausgerichtet sind und zuverlässiger als bisher im Zeit- und Kostenrahmen bleiben?

     MdB Dr. Bartels:

     Diese Frage bedarf eigentlich einer langen Antwort. Zur Zeit des Kalten Krieges standen Rüstungsprojekte durch die unmittelbare Bedrohung immer unter Zeitdruck. Man wusste, was benötigt wurde. Heute ist das anders. Ob beispielsweise der A400M drei Jahre später als angekündigt kommt, beeinträchtigt das Sicherheitsgefühl der Deutschen in keiner Weise. Ein anderer Aspekt: Superstandardisierung ist kein Königsweg. Wenn für 14 Nationen 22 Hubschraubervarianten herauskommen sollen, an denen die Industrie von 7 Nationen arbeitet, dann wird das Produkt so nicht automatisch billiger oder schneller oder besser. Die Amtsseite leidet genauso wie die Industrie an der Hyperkomplexität solcher Projekte. Zu viele Köche! Wer vier Werften unter Vertrag nehmen muss, um ein einzelnes Schiff zu bauen, zahlt dafür einen hohen Preis, auch im übertragenen Sinne. Also: Wie bei der Europäisierung unserer Streitkräfte in der EU gilt genauso für die Rüstungsbasis, dass nicht jeder alles machen und an allem beteiligt sein muss.

ES&T:

Wie weit kann die Europäisierung und Globalisierung der Verteidigungsindustrie gehen? Gibt es wehrtechnische Kernfähigkeiten, die in politischer Betrachtung in Deutschland unabdingbar sind?

MdB Dr. Bartels:

Deutschland sollte eine aktive Industriepolitik betreiben. Die Industriearbeitsplätze sind uns nicht egal. Das heißt zuallererst: miteinander reden! Mit den Firmen und Verbänden, mit Betriebsräten und Gewerkschaft. Wir haben sehr leistungsfähige Unternehmen, die im High-Tech-Bereich gut dastehen. Sie sind generell in ihrer kleinteiligen Struktur konkurrenzfähig. Wir brauchen kein Dogma der Großfusionen. Zur deutschen Industrie gehören übrigens für mich auch internationale Konzernfilialen in Deutschland, wie Thales-Deutschland, MBDA-Deutschland oder Raytheon in Kiel. Was die Wirtschaft braucht, um ihre Kernfähigkeitsentscheidungen zu treffen, sind aber nicht Fragebögen aus dem Wirtschaftsministerium, sondern Strukturentscheidungen in der nationalen und der europäischen Verteidigungsplanung. Wo liegen in Zukunft die Ausrüstungsschwerpunkte des Referenzkunden Bundeswehr? Welche Fähigkeiten werden auf Dauer weiter gepflegt, gestärkt und modernisiert? Daran kann sich dann die Industrie orientieren. Andersrum funktioniert es nicht.

ES&T:

Rüstungsexporte sind immer wieder ein politisches Streitthema. Sind die Maximen und Verfahren, die in Deutschland auf diesem Gebiet zur Anwendung kommen, zufrieden stellend?

MdB Dr. Bartels:

Die Grundsätze sind gut. Allerdings war die Praxis in den letzten vier Jahren nicht immer so restriktiv, wie sie auf dem Papier steht. Natürlich gibt es nicht nur Schwarz und Weiß, sondern alle Schattierungen dazwischen – immer gute Argumenten für oder gegen Genehmigungen für dieses oder jenes Land zu diesem oder jenem Zeitpunkt. Und leider haben wir in der Europäischen Union keine Übereinstimmung in der Genehmigungspraxis. Das sollten wir ändern. Was sich für den Bundestag erst einmal ändert, ist die Unterrichtung durch die Bundesregierung. So soll künftig der Rüstungsexportbericht zweimal statt einmal jährlich vorgelegt werden, und bei größeren im Bundessicherheitsrat positiv beschiedenen Projekten soll der Deutsche Bundestag unmittelbar unterrichtet werden. Damit entfällt die Geheimniskrämerei – und die Basis für das unwürdige Spekulieren, was das Gremium denn nun gerade beschlossen hat.  

Interview Sicherheit und Technik (PDF)