Lübecker Nachrichten: Herr Bartels, Sie haben sich als Abgeordneter 15 Jahre lang intensiv mit der Bundeswehr beschäftigt. In welchem Zustand befindet sich die Truppe heute?
Hans-Peter Bartels: Für die Bundeswehr brachte die Zeit nach dem Kalten Krieg völlig neue Einsatzszenarien. Sie bekämpft in EU- oder Nato-Missionen Terrorgefahren weit weg von zu Hause oder interveniert in Bürgerkriegsgebieten wie auf dem Balkan, um Stabilität zu schaffen. Die Bundeswehr hat diesen Wandel mit allen Schmerzen bewältigt, aber nach den vielen Reduzierungs- und Umbauwellen eine gewisse Reformmüdigkeit erreicht. Jetzt steckt sie mitten in der Modernisierung ihres Geräts, die noch lange nicht zum Abschluss gekommen ist.
LN: Ob Drohnen, Transportflugzeuge oder Gewehre – man hat den Eindruck, bei der Bundeswehr funktioniert so gut wie nichts. Ist die Lage wirklich schlimm?
Bartels: Verglichen mit den Sorgen vieler unserer Partner in Europa sind das lösbare Probleme. Es hat sich mit der neuen Regierungskoalition auch etwas verändert: Die Probleme werden nicht mehr unter den Teppich gekehrt, sie kommen auf den Tisch.
LN: Es ist also nicht alles schlimmer geworden, es wird nur bekannt.
Bartels: Es wird endlich offen thematisiert. Nur das schafft die Voraussetzung für Veränderung. Wenn man beim Zulauf neuen Materials immer zu optimistisch ist, dann vernachlässigt man zu früh das alte. Diese Fehler sehen wir jetzt etwa bei der Transall, die seit über 40 Jahren im Einsatz ist. Dennoch: Manche Fahrzeuge und Waffen, die bei der Bundeswehr altes Material sind, werden von anderen Streitkräften händeringend gesucht und gern übernommen.
LN: Das klingt fast so, als sei die Aufregung ein bisschen übertrieben.
Bartels: Es ist schon richtig, sich aufzuregen. Sonst ändert sich nichts. In der Übergangsphase von alter zu neuer Ausrüstung entsteht ein doppeltes Problem. Das vorhandene Gerät ist zunehmend altersschwach, das neue noch nicht da. Wenn es dann kommt, hat es Kinderkrankheiten. Manchmal wundert man sich, wie lange deren Beseitigung dauert. Im Fall Eurofighter sind es inzwischen über zehn Jahre. Aber am Ende, das zeigt etwa die Erfahrung beim Tornado, hat die Truppe sehr zuverlässige Einsatzmittel.
LN: Haben Sie bei der Rüstungsbeschaffung Vertrauen in die Aufklärungs- und Aufräumbemühungen der Verteidigungsministerin?
Bartels: Ihr war von Anfang an klar, dass sie diesen Bereich nicht von sich wegschieben kann, wie es ihre Vorgänger zum Teil demonstrativ getan haben. Frau von der Leyen hat von sich aus die Initiative ergriffen. Sie hat die Karten auf den Tisch gelegt und eine sehr kreative neue Staatssekretärin für diesen Bereich eingesetzt. Den Erfolg kann man erst am Ende messen, aber am Willen scheitert es hier jedenfalls schon mal nicht.
LN: Was ist die größte Aufgabe, vor der die Bundeswehr steht?
Bartels: Zum realen Aufgabenspektrum der Bundeswehr zählt seit dem Russland/Ukraine-Konflikt wieder die Bündnisverteidigung, die historisch schon als abgehakt galt. Wir haben 1,5 Millionen Soldaten in den 28 EU-Mitgliedsstaaten. Das sollte für jeden denkbaren Fall reichen. Aber es gibt zu viele Doppel- und Dreifachstrukturen. Der europäische Pfeiler in der Nato muss sich besser organisieren. Wir müssen durch Arbeitsteilung und Zusammenarbeit effektiver werden. Dieser Prozess hat jetzt Fahrt aufgenommen. Deutschland sollte zum Schrittmacher werden.
LN: Der scheidende Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus hat immer wieder die Familienfeindlichkeit des Truppenalltages angeprangert, mit zu vielen Versetzungen und zu viel Wochenend-Pendelei. Wo werden Sie ihre Akzente setzen, wenn Sie am Mittwoch das Amt übernehmen?
Bartels: Vieles von dem, was ihm wichtig war, wird von mir weiter verfolgt, ob es um die Sanierung von Kasernen geht oder um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das dürfen keine Überschriften bleiben.  Aber es muss auch um neue Ausrüstung gehen, um den noch nicht bewältigten Übergang von der Wehrpflicht- zur Freiwilligenarmee und um Soldentenrechte in der Europäisierung.
LN: Bedeutet das neue Amt auch das Ende ihrer Verbundenheit mit Schleswig-Holstein, einen Schlussstrich nach den Turbulenzen um den Rücktritt ihrer Frau als Oberbürgermeisterin von Kiel, die ja auch an Ihnen nicht vorübergegangen sind?
Bartels: Für mich ist es kein Schlussstrich. Ich bin Schleswig-Holsteiner und Sozialdemokrat aus Kiel, jetzt in Berlin lebend.
Interview: Arnold Petersen