Gastbeitrag von Hans-Peter Bartels im Rheinischen Merkur (10.07.2008)

Wahrscheinlich sind die Medien als nächstes dran! Oder vielleicht ist es heute schon so weit, auch wenn es den BegriffMedienverdrossenheit noch gar nicht gibt. Fast alle Zeitungen leiden unter Auflagenschwund, Mangel an Nachwuchslesern, rückläufigerReichweite. Den journalistischen Formaten im Fernsehen geht es nicht besser. Boulevardblätter beten sich gesund, indem sie die kostenfreien Klicks auf ihre Internetseiten der verkauften Schrumpfauflage hinzurechnen. Aber auch sie spüren den Trend.

Ich glaube, dass Politikverdrossenheit und Medienverdrossenheit wie auch die zurückgehenden Mitgliederzahlen von Parteien über Gewerkschaften bis hin zu den Sportvereinen Phänomene der gleichen gesellschaftlichen Werteverschiebung sind: vom Öffentlichen zum Privaten, vom Politischen zum Ökonomischen, vom Sozialen zum Individuellen. Diese Bewegung mag mit manchen Vorteilen verbunden sein, aber sie hat der Demokratie nicht gut getan.

Was jedenfalls das Verhältnis der Medien zu der Politik angeht, wäre heute die Erkenntnis revolutionär, dass wir im selben Boot sitzen. Medien, Parlamente, Regierungen und Parteien sind Teil derselben demokratischen Lebensform, einer Lebensform, die bei uns in Deutschland im 20. Jahrhundert so selbstverständlich nicht war, die erkämpft, verloren und wiedergewonnen wurde, die sich nicht einfach vererbt, sondern von jeder Generation neu angenommen und gelernt werden muss.

Als Abgeordneter beobachte ich bei vielen Journalisten in der Hauptstadt durchaus ein gewisses Unbehagen an der kollektiven Haltung ihres Berufsstandes, der dem Betrieb unserer parlamentarischen Demokratie immer fremder gegenüberzustehen scheint. Warum ist das so? Sind die vom Volk Gewählten heute wirklich so schlecht, schlechter als früher, schlechter als in den Nachbarländern? Ist es wirklich so, dass die Politik unser wohlhabendes Exportweltmeisterland gerade von Grund auf ruiniert? Und was hieße das: Massenelend, Krieg, Unfreiheit? Haben wir noch Maßstäbe im Kopf, Geschichte vor Augen?

Die Wiedervereinigung zum Beispiel scheint schon vergessen, wenn die Wirtschaftsleistung der größten Volkswirtschaft Europas verglichen wird und es im EU-Pro-Kopf-Ranking heißt: Deutschland liegt nur noch im Mittelfeld. Nur noch? War damals die DDR Europas Nummer eins? Oder die Arbeitslosenstatistik: Wenige Wochen, nachdem 400 000 arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger im Zuge der Hartz-Reformen ehrlicherweise hinzugerechnet worden waren, hieß es, durch Hartz IV sei die Arbeitslosigkeit gestiegen. Aufklärung: Fehlanzeige. Die Bundesagentur hätte ja richtigstellende Anzeigen schalten können.

Wo es früher eher konservative Medien auf der einen Seite (Springer) und linksliberale Medien auf der anderen (Stern, Spiegel, Rotfunk) gegeben hat, gibt es heute einen neuen uniformen Typus von Schiedsrichter-Medien: dem ganzen demokratischen Prozess (die Politik) distanziert gegenüberstehend, scheinbar unbeteiligt, neutral, objektiv, geschmäcklerisch urteilend, Haltungsnoten vergebend. So fühlt man sich selbst offenbar unangreifbar. Nicht die einen unterstützen und dem anderen Argumente entgegensetzen aus einer inneren Anteilnahme heraus, sondern alle gemeinsam verachten oder jedenfalls geringschätzen, das ist die Devise dieser neuenÜberparteilichkeit.

Wenn ich sage, dass es früher unter den Medien die gleiche Polarisierung gab wie zwischen den politischen Kräften in unserer Gesellschaft (Kapital und Arbeit, SPD und Union), bezieht sich das auf eine Vergangenheit mit nur drei Fraktionen im (West-) Deutschen Bundestag, nur drei Fernsehprogrammen. Die Mauer stand noch und kein Journalist hätte mit Helmut Schmidt tauschen mögen, als Terroristen drohten, Geiseln zu erschießen. Heute gibt es mehr Akteure, mehr Komplexität und weniger Regelbewusstsein, weniger Grundkonsens. Was geht, wird gemacht. Zu selten wird gefragt: Stimmt das eigentlich, was die Konkurrenz da schreibt? Stattdessen heißt es: Warum haben wir das nicht? Die extreme Form dieser Selbstreferenzialität nennen verunsicherte Betroffene dannRudeljournalismus. Und wie sollten sie die so glatte und gleichgerichtete, ganz und gar hermetische Berichterstattung auch sonst empfinden? Wo und wie könnten sie sich wehren?

In der jüngsten Ausgabe der Neuen Gesellschaft schreibt Erhard Eppler, ein Elder statesman der SPD: Es ist heute möglich, eine Partei kleinzukriegen, wenn mächtige Medien und eine einzige Demoskopenfirma zusammenspielen. Da wird ein Vorsitzender niedergemacht, und sofort liefern die Demoskopen katastrophale Zustimmungswerte, sodass die Medien ausführlich darüber räsonieren können, warum die Partei zum Abgrund wankt. Das produziert dann noch niedrigere Werte. Und so fort. Es stimmt schon, dass heute in manchen Redaktionen Leute sitzen, die Politik nicht erklären, begleiten, werten, kritisieren oder loben, sondern selbst machen wollen. Und können.

Was unser Land heute nicht braucht, sind dauerverdrossene Ersatzpolitiker in den Redaktionen. Sie könnten sich ja zur Wahl stellen, die Seiten wechseln. Was wir brauchen, ist ein neuer gemeinsamer Aufbruch für die Demokratie, nicht für irgendeine andere präsidentiellere oder plebiszitärere Demokratie – sondern für unsere, diese, die wir seit sechzig Jahren haben. Viele Menschen in dieser Demokratie wissen zu wenig über ihre eigenen Rechte und Möglichkeiten. Viele erfahren zu wenig darüber, wie in Parteien, Parlamenten und Regierungen tatsächlich gearbeitet und entschieden wird. Diejenigen, die sich selbst engagieren, können es sich vorstellen – den anderen werden zu oft Karikaturen angeboten. Ein Großteil des Publikums fühlt sich abgestoßen von einer Sphäre, die alsschmutziges Geschäft, als Ort von Parteiengezänk und faulen Kompromissen erscheint. Die Medien (schon klar: Dieser Kollektivsingular ist immer auch ungerecht) werden nicht davon profitieren, wenn die politische Öffentlichkeit weiter verfällt, wenn weniger Mitbürger sich Parteien anschließen, wenn die Wahlbeteiligung sinkt. Selbst mit antipolitischen Ressentiments ist nur so lange ein Geschäft zu machen, wie die Kundschaft sich überhaupt für Politik interessiert.

Stattdessen wäre es doch geradezu aufsehenerregend neu, auch aufregend und spannend, Politik und das Politikmachen mal wieder interessant zu finden. Was ist cool daran, Ortsvereinsvorsitzender einer Partei zu sein (davon gibt es 30 000 in Deutschland)? Was tut man, wenn widersprüchliche Argumente ärgerlicherweise jeweils auf ihre Art ziemlich gut sind? Wieso macht vorangegangener Streit das Ergebnis einer Diskussion nicht schlechter, sondern besser?

Wäre das nicht etwas? Auch den Mitbürgern in den Redaktionen gilt deshalb der unverdrossene Aufruf: Mischt euch ein! Ergreift Partei! Macht euch angreifbar! Ermutigt andere! Bewirkt Gutes!