Interview mit Hans-Peter Bartels in "Welt kompakt" vom 24.07.2014

Vorsitzender des Verteidigungsausschusses fordert Fusion der
Rüstungsunternehmen Von Ulrich Clauß und Thorsten Jungholt

GTK Boxer in Afghanistan ©Bundeswehr/Bienert, CC 2.0

GTK Boxer in Afghanistan
©Bundeswehr/Bienert, CC 2.0

Wie soll die deutsche Rüstungsindustrie angesichts der neuen Zurückhaltung bei Lieferungen in Länder außerhalb der Nato überleben? Hans-Peter Bartels, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, verlangt von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (beide SPD) eine industriepolitische Initiative nach Vorbild von Ex-Kanzler Gerhard Schröder.

 

Die Welt:
Herr Bartels, die Regierung hat Exportgenehmigungen für ein U-Boot für Israel, Teile für Hubschrauber für Ägypten und Schiffsbausätze für Kolumbien erteilt. Größter Profiteur ist HDW, ein Unternehmen aus Ihrem Kieler Wahlkreis. Haben Sie Lobbyarbeit bei Ihrem Parteichef Gabriel geleistet?

Nein, Druck bekommt der Wirtschaftsminister im Moment zwar von allen Seiten, aber kaum aus dem Marinebereich. Keines der Projekte ist neu. Es geht hier zum Beispiel um das vierte von sechs HDW-U-Booten für Israel, das nun ausgeliefert werden kann.
Der Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat die deutsche
Rüstungsexportphilosophie so beschrieben: Erlaubt ist alles, was schwimmt. Alles, was rollt – wie Panzer –, eher nicht. Gilt das auch für die Koalition?

Panzer sind nach dem Zweiten Weltkrieg zum Sinnbild innerer Repression durch autoritäre Regime geworden, vom 17. Juni 1953 in Ost-Berlin über Prag 1968 bis zum Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 und zu Bahrain 2011. Der Westen sollte insgesamt vorsichtig sein, wem er solche Mittel in die Hand gibt, nicht nur Deutschland. Das gilt auch für Kleinwaffen. Da will die Große Koalition bei Exportanträgen in Zukunft zurückhaltender sein als zuvor Schwarz-Gelb.
Sigmar Gabriel hat deutlich gemacht, dass er diese restriktive Exportpolitik durchsetzen will. Damit hat er sich aber nicht nur den Unmut einiger Unionsabgeordneter zugezogen, sondern auch den von Betriebsräten. Ist die Meinung der Gewerkschafter der SPD egal?

Die Freunde von der Union sollten mal in den Koalitionsvertrag schauen. Genau dieses Wort steht drin: „zurückhaltend“. Aber richtig ist auch, dass wir uns gemeinsam ausdrücklich verpflichtet haben, die wehrtechnische Basis in Deutschland zu erhalten – aus Gründen von Arbeit und technischem Know-how, aber auch aus sicherheitspolitischen Gründen: Wir
Deutsche und Europäer wollen uns nicht zu sehr abhängig machen von Ausrüstung aus Übersee mit ihrer Blackbox-Problematik. Das war ja eine der Erkenntnisse aus der parlamentarischen Euro-Hawk-Untersuchung: Die Drohne wurde aus den USA geliefert, das zugehörige Missionsplanungssystem aber nicht. Also, wir ziehen mit Betriebsräten und IG Metall am selben Strang. Kluge Industriepolitik ist gefragt.
Die Rüstungsfirma Krauss-Maffei-Wegmann mag darauf nicht warten und denkt jetzt über eine Fusion mit einem französischen Staatsunternehmen nach. Der richtige Weg?

Ein seltsamer Plan! Der französische Präsident rettet mal eben deutsche Arbeitsplätze durch Exportgenehmigungen in die arabische Wüste – egal, was die deutsche Regierung dazu sagt? Unwahrscheinlich. Vielleicht sollten wir das aber auch als Hilferuf verstehen. Mit der industriepolitischen Kleinstaaterei geht es so in Europa nicht mehr weiter. Die deutschen Unternehmen, deren Überleben an einzelnen Exportaufträgen in einzelne schwierige Länder hängt, sind zu klein. Und die Rüstungsexportpraxis der unterschiedlichen Nationen ist zu heterogen.
Braucht es eine industriepolitische Initiative des Wirtschaftsministers nach Vorbild von Gerhard Schröder? Der Ex-Kanzler hat bereits im Jahr 2000 versucht, eine Konsolidierung für deutsche Rüstungszulieferer nach Vorbild von EADS, heute Airbus, einzuleiten.

Ja! Damals war es vielleicht noch zu früh für eine nationale Konsolidierung, die Unternehmen dachten alle, es alleine zu schaffen – und haben auch erstaunlich lange ihre Eigenständigkeit bewahrt. Aber um welchen Preis? Für die größeren deutschen Heeresbeschaffungen – Boxer, Puma – ging der Auftrag gleich an zwei Systemhäuser, damit keines leer ausgeht. Den letzten Einsatzgruppenversorger haben vier Werften gemeinsam gebaut, doppelt so teuer wie das erste und zweite Schiff der Serie. So kann es nicht weitergehen!
Die Unternehmen wünschen sich mehr Klarheit über die Pläne von Verteidigungsministerin von der Leyen. Was sind Kernfähigkeiten der Bundeswehr, für die es die nationale Rüstungsindustrie braucht?

Seit beinahe vier Jahren fällt das Verteidigungsministerium als Akteur aus. Rüstungsabteilung und Beschaffungsamt werden umständlich umorganisiert, die beiden letzten Minister hielten vornehme Distanz zu Rüstungsthemen, dann die Drohnenkrise, eine neue Regierung, Entlassung von Spitzenbeamten, nochmal eine externe Überprüfung, die jetzt erst beginnt – da ging viel Zeit ins Land. Ursula von der Leyen will nun selbst an dem Thema arbeiten und Entscheidungen treffen. Das ist gut. Die wichtigste Entscheidung ist die über die ansatzweise Spezialisierung der deutschen Streitkräfte im europäischen Verbund. Es geht nicht um 127 industrielle „Kernfähigkeiten“ in Deutschland, sondern um sieben oder acht militärische Schwerpunktbereiche, etwa gepanzerte Kräfte, Luftbeweglichkeit, U-Boote, Flugabwehrraketen, Sanität, Führungsunterstützung. Daran kann sich die deutsche Industrie dann verbindlich orientieren.