Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 26. November 2009 in der Bundestagsdebatte um die von Bundesminister Jung abgegebene Erklärung zum Luftangriff in Afghanistan am 4.9.2009

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beredsamkeit der Redner der Koalitionsfraktionen spricht Bände.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

Ich stimme der Kollegin Hoff zu. Das kann man erst einmal nur zur Kenntnis nehmen. Ich stimme zu, dass man nur sehr kurz sagen kann: Wenn etwas aufzuklären ist, dann muss es aufgeklärt werden. Da gibt es offenbar bei den Regierungsfraktionen ein ähnliches Informationsbedürfnis wie bei uns.

Es wird um vier Komplexe gehen. Erstens. Warum hat Minister Jung Informationen, die die Bundeswehr besaß, verschwiegen und einen falschen Eindruck erweckt? Die Faktenlage ist durchaus so, dass es in dem Umfeld des Interviews, das die Bild-Zeitung heute zitiert hat, in dem er sagt, dass nur Terroristen getroffen wurden, bereits andere Informationen gab, etwa der NATO. Der NATO-Pressesprecher von ISAF hat Krankenhäuser besucht und sich dabei fotografieren lassen. Am 6. September war das in allen Zeitungen Deutschlands zu lesen. Das sind doch Informationen, die allen zugänglich sind, Herr Minister.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Antwort kann nur lauten: Entweder wusste er es besser, aber es passte ihm nicht ins Konzept – damals waren Wahlkampfzeiten –,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

oder er wusste es nicht besser. Aber dann hatte er sein Ministerium nicht im Griff. Warum soll er jetzt ein anderes Ministerium ruinieren?

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Will er nach der Reform der Jobcenter auch sagen, dass er es nicht besser gewusst hat?

Komplex zwei. Wusste Minister zu Guttenberg, als er sich öffentlich äußerte, eigentlich alles? Ich komme auf die Frage, weil sich der Fraktionschef der Union, Kollege Kauder, heute wie folgt geäußert hat – ich zitiere aus Spiegel Online –:

Ich gehe mal davon aus, wenn man es dem Herrn zu Guttenberg nicht vorgelegt hat, obwohl der sich bei Dienstantritt zu diesen Vorgängen ja geäußert hat, dass es dem Herrn Jung auch nicht vorlag.

Das Ganze also anders herum.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Bartels, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lindner?

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Gerne.

Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Herr Kollege, der damalige Minister des Auswärtigen war der Kollege Steinmeier. Wollen Sie uns bitte darlegen, was der Kollege Steinmeier damals in seiner Funktion als Bundesaußenminister wusste,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

welche Berichte er sich hat vorlegen lassen und wie er als Minister des Auswärtigen seiner Holschuld in Bezug auf Afghanistan nachgekommen ist?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ablenkungsmanöver!)

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Herr Kollege, „Holschuld“ ist ein prima Stichwort. Als Minister, der für die Bundeswehr zuständig ist, hat man, wenn ganz Deutschland über einen solchen Vorfall diskutiert, eine Holschuld,

(Beifall bei der SPD und dem BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

in seinem eigenen Haus mitzubekommen, was passiert ist. Ich denke, dann wird man auch die Kollegen in der Bundesregierung informieren. Das ist offensichtlich nicht geschehen. Er sagte, er sei selbst nicht informiert gewesen.

Uns interessiert, was Minister zu Guttenberg gewusst hat, was der Kollege Jung nicht gewusst hat – das war Wochen später –, und was er sich hat vorlegen lassen, als er sich öffentlich äußerte.

Komplex drei. Wenn das alles so nachvollziehbar ist, wie Sie das vorgetragen haben, Herr Minister Jung: Warum mussten dann heute der Generalinspekteur und der Staatssekretär Wichert entlassen oder beurlaubt werden?

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Wir haben heute nicht gehört, welche Fehler diesen beiden Spitzenleuten des Ministeriums vorgeworfen werden. Sind sie Bauernopfer?

Komplex vier. Der Generalinspekteur und der Bundesminister zu Guttenberg haben sich durchaus unterschiedlich – Kollege Trittin hat das zitiert – zu dem Vorfall im Kunduz-Fluss geäußert. Ich zitiere Minister zu Guttenberg aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – das entscheidende Wort einer langen Stellungnahme lautet „müssen“ –:

Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zu dem Luftschlag kommen müssen.

Das hat der Generalinspekteur dezidiert anders dargestellt. Er spricht nicht von „müssen“. Er sagt in Solidarität mit den Kameraden in Afghanistan: Die Lage war so, dass es möglicherweise angemessen gewesen sein kann. Nicht „müssen“! Welche Informationen haben Sie denn gehabt, als Sie sagten, dass dieser Luftschlag hätte stattfinden müssen, Herr zu Guttenberg? Der NATO-Untersuchungsbericht gibt dafür wahrscheinlich nicht die Grundlage her. Zu diesem Schluss käme man, wenn man ihn kennen würde. Er ist aber geheim. Insofern reden wir sozusagen unter Einäugigen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wir reden geheimnisvoll!)

– Niemand will Geheimnisse verraten. – Es ist aber kein Geheimnis, wenn ich sage, dass der Eindruck, der öffentlich erweckt wird, durch den NATO-Untersuchungsbericht meiner Meinung nach nicht gedeckt ist. Da geht es nicht um „müssen“, sondern um Fehler, die gemacht worden sind und die abzustellen sind, sowie um Vorschläge, wie man sie abstellen kann. Die NATO kritisiert das, was Sie rechtfertigen.

(Beifall bei der SPD und dem BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Herr Minister Jung, es ist richtig – auch Kollege Gysi hat darauf hingewiesen –: Man muss nicht alles wissen. Man kann in einem so riesigen Verantwortungsbereich auch nicht alles wissen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man wissen!)

Aber in einer Zeit, in der ganz Deutschland im Wahlkampf tagelang über die Frage diskutiert: „Was ist da eigentlich gewesen?“, ist es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit des Inhabers der Befehls- und Kommandogewalt, sich selbst aktiv darüber schlau zu machen, was die Bundeswehr und sein Haus darüber wissen.

(Beifall bei der SPD und dem BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es ist dann das Recht des Parlaments – auch wenn Wahlkampf ist und man nicht mehr regelmäßig zusammenkommt –, zu erfahren, was Sie wissen. Es ist armselig, wenn Sie sagen, Sie haben nichts gewusst, und nach und nach scheibchenweise herauskommt, was in der Bundeswehr an Informationen vorhanden war. Wir werden morgen früh im Verteidigungsausschuss und vermutlich auch danach in einer Sonderveranstaltung einigen Informationsbedarf haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

 

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BT-Protokoll

BT-Protokoll – Auszug Rede Bartels