Vorstellung der Zeitschrift am 5. Oktober 1999 auf dem Berliner Fernsehturm am Alexanderplatz

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

Symbole spielen in Berlin eine ganz andere Rolle als in Bonn, war letzte Woche in einem bedeutenden Hamburger Nachrichtenmagazin zu lesen.

Also ist es auch nicht egal, wo wir unsere neue Zeitschrift präsentieren. Zuerst dachten wir natürlich an das Symbol schlechthin, die Reichstagskuppel. Aber da war mit der Zeitungsvorstellung offiziell kein Reinkommen – zu politisch.

Wir hätten′s auch im Keller der Parlamentarischen Gesellschaft machen können. Aber dann hätte es vielleicht geheißen: „Jung-SPDler suchen Deckung im Luftschutzkeller.“ Oder so. Außerdem war uns das da nicht spießig genug.

Deshalb mußten wir für die heikle Verbindung von Politik, Feuilleton und Berlin etwas anderes Herausragendes suchen. Irgendwas in Mitte, damit man noch hinkommt. Und weil ja auch keine Mitte so neu ist wie die neue Mitte hier.

Gern sollte es auch ein bißchen ostig sein: Es handelt sich ja wirklich um eine gesamtdeutsche Zeitschriftengründung. Blick auf Berlin – wie aus der tollen Kuppel – wäre auch nicht schlecht. Man soll schon sehen, daß die „Berliner Republik“ in Berlin gemacht wird. Wenn der Ort sich dann noch sichtbar bewegen würde – das wäre ein prima Symbol. Auch wenn′s bloß im Kreis ist. Andererseits darf es nichts vom Publikum Abgeschottetes, nichts Exklusives sein. Offenheit ist uns wichtig.

Deshalb sind wir also hier auf dem Fernsehturm am Alex: Mitte, Osten, Berlin, Bewegung, offen, ganz oben und durchaus angemessen spießig.

Als einfache Botschaft schwebt uns vor: „Neue lesenswerte Zeitschrift am Himmel über Berlin vorgestellt“. Irgendwas mit „Himmel über Berlin“ wäre ganz schön. So viel zur Symbolik.

Wozu diese Zeitschrift?

Erstens, weil es Zeit wird, daß sich die politische Generation der Nach-68er auf ihre Möglichkeiten, ihre Aufgaben und ihre Verantwortung besinnt und beginnt, ihre eigene politische Programmatik und Philosophie zu entwickeln. Bisher hörten wir immer: „Euch gibt′s ja gar nicht!“ Und tatsächlich waren bis vor kurzem kaum Sozialdemokraten unter 50 in der Öffentlichkeit zu sehen. Es gab einen Generationenbruch. Das wird jetzt, endlich, in Bund und Ländern ein bißchen anders. Im Interesse der Dauerhaftigkeit der SPD muß es das auch. Nun heißt es: „Ihr habt aber gar kein Programm!“ Stimmt. Daran wird zu arbeiten sein. Die SPD hat übrigens zur Zeit auch gerade kein einsatzfähiges Grundsatzprogramm. Daß sie ein schönes neues bekommt, dabei wollen wir helfen.

Zweitens, die Zeitschrift wird klar machen, daß die alten PappschiIder von linken Linken und rechten Linken, von Traditionalisten und Modernisierern unbrauchbar sind. Was ist denn wahrhaft fortschrittlicher: Die Sozialhilfesätze zu erhöhen oder Sozialhilfeempfängern zu erlauben, in stärkerem Maße als bisher selbst etwas hinzuzuverdienen? Sind die aufrechtesten Linken in erster Linie Pazifisten, die im schlimmsten Fall eben Mord und Völkermord im Nachbarland geschehen lassen, oder Internationalisten, die am Ende auch militärisch eingreifen? Ist Bafög als Zuschuß für wenige sozialdemokratisch korrekt, Bafög als Darlehen für viele dagegen Verrat? Also weg mit den Selbstbelobigungen aus Pappe, die den Blick auf die Fragen verstellen! Ob diese pragmatische, undogmatische Herangehensweise dann Neue Mitte oder Dritter Weg heißt, ist egal.

Drittens, Heinz Bude, der Soziologe, hat recht: Der Generationenbruch in der SPD, den wir überwinden wollen, erfordert einen Wechsel der Haltung – von einer Haltung der Kritik zu einer Haltung der Definition. Wir verstehen uns als konstruktiv.

Die Schwerpunktthemen des ersten Heftes sind Berliner Republik, Generation Berlin, Neue Mitte und Dritter Weg.

Die dreißig Autorinnen und Autoren kommen aus Politik, Wissenschaft, Medien, Wirtschaft und Gewerkschaften. Manche sind Mitglied der SPD, andere nicht. Es gibt keine Altersgrenze.

Herausgeber der Berliner Republik sind zehn sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete: Kurt Bodewig, Sebastian Edathy, Hubertus Heil, Christian Lange, Birgit Roth, Michael Roth, Carsten Schneider, Karsten Schönfeld, Ute Vogt und Hans-Peter Bartels.

Die Zeitung heißt „Berliner Republik“, weil wir glauben, daß der Umzug nach Berlin, die Bildung einer europäischen Metropole, in Deutschland etwas verändern wird und auch verändern sollte.