Vorschläge zur Reform des Parlamentsrechts

Der Abgeordnetenberuf ist kein Beruf wie jeder andere. Aber er ist ein Beruf. Ein Beruf durch Wahl auf Zeit. Um dem Abgeordneten Auskommen, Unabhängigkeit und sozialen Schutz zu gewährleisten, ist bis heute eine Fülle von Sonderregelungen geschaffen worden, die sich wohl begründen lassen, die aber einen Zweck vollständig verfehlen: Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Insbesondere die finanziellen Aspekte der Rechtsstellung des Abgeordneten sind angreifbar, nicht wegen tatsächlich verschwenderischer Zahlungen, sondern wegen eben der Besonderheit der getroffenen Regelungen – und sie werden angegriffen. Dabei könnte der Abgeordnetenberuf in dieser Hinsicht ausgestaltet werden wie jede andere Profession, so dass die gern unterstellte Bereicherungsabsicht („Selbstbediener“, „Absahner“) auch jedem Anscheine nach ausgeschlossen werden kann. Hierzu einige Vorschläge:

1. „Diäten“

Die albernerweise heute noch so genannte „Entschädigung“, sollte wie andere z.B. Angestelltengehälter in zwölf Monatsbeträgen und eventuell einem 13. Gehalt als Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld vom Bundestag ausgezahlt werden. Der Bundestag kann dabei auch gleich die fällige Einkommenssteuer einbehalten und monatlich ans Finanzamt abführen. Die Fiktion des politischen Unternehmers, der sich selbst versteuert, ist absurd, wenn monatlich gleiche, gesetzlich festgesetzte Beträge wie ein Gehalt überwiesen werden. Der jährlichen „Diätenerhöhung“ (durch Parlamentsbeschluss, wie sonst?) sollte der durchschnittliche nominale Anstieg des Einkommens aus unselbständiger Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland vom Vorjahr, festgestellt vom Statistischen Bundesamt, zugrunde liegen. (Seit 1977 gab es übrigens zwölf Mal eine Nullrunde, aber das weiß kaum jemand, da nur Diätenerhöhungen von Boulevard-Interesse sind und Nicht-Erhöhungen nicht.

Dass Weihnachts- und Urlaubsgeld zum Abgeordnetengehalt gehören, glaubt jeder Arbeiter, Angestellte oder Beamte, denen solche Leistungen tarifvertraglich oder gesetzlich zustehen. Dass ausgerechnet hier Abgeordnete mit ihrem eindrucksvollen 7000-Euro-Monatsbruttogehalt nicht besser und nicht einmal genau so gestellt sind, scheint kaum vorstellbar. Also: lieber ein etwas geringeres Monatssalär (6460 Euro) auf dreizehn Gehälter verteilen, realistisch dem zivilen Arbeitsleben nachgebildet.

2. Ãœbergangsgelder

Ausscheidende Abgeordnete brauchen nur dann Übergangsgelder (heute nach vier Jahren Parlamentszugehörigkeit: maximal vier Monate, nach 18 Jahren: 18 Monate), wenn sie mit Ablauf ihres Mandats nicht wieder ihre alte Berufstätigkeit (die ihnen gesetzlich garantiert ist, sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft, sofern die Firma noch existiert) aufnehmen können. Im Grundsatz muss gelten: kein doppeltes Gehalt.

3. Urlaub

In den Sommerlochgerechtigkeitsdiskussionen der Boulevardpresse wurde gelegentlich die Frage aufgeworfen: Wieviel Urlaub haben eigentlich Minister und Abgeordnete? Das ist in der Tat nicht geregelt – und in der Regel wohl auch kein Problem, weil jeder Gewählte, sofern er danach strebt wiedergewählt zu werden, eher zu viel als zu wenig arbeiten wird. Aber es gibt keinen vernünftigen Grund, warum nicht im Abgeordnetengesetz stehen sollte, dass Abgeordnete Anspruch auf sechs Wochen bezahlten Erholungsurlaub im Jahr haben. Dieser Urlaub ist außerhalb der Sitzungswochen zu nehmen und beim Parlamentspräsidenten anzuzeigen. Ebenso übrigens Krankheitstage mit Krankschreibung (nicht nur in Sitzungswochen).

4. Öffentliche Mandate und Ämter

Mit der beruflichen Tätigkeit eines Bundestagsabgeordneten, der zwischen Wahlkreis bzw. Wohnort und Parlamentssitz pendelt und sich an diesem notwendigerweise mindestens 21 (Sitzungs-)Wochen im Jahr aufhält, ist die Ausübung weiterer öffentlicher Wahlämter oder Mandate auf anderen Ebenen nicht vereinbar. So groß kann der Mangel an z.B. qualifiziertem kommunalpolitischen Personal nicht sein, dass Bundestagsabgeordnete auch hier völlig unentbehrlich wären.

5. Verbot weiterer Berufstätigkeit

Wer seine Kraft für einen absehbaren Zeitraum von vier Jahren dem Wohl des deutschen Volkes widmen will, wird keine Zeit für eine darüber hinaus gehende bezahlte Berufstätigkeit haben, nicht als Rechtsanwalt und Notar, nicht als Geschäftsführer oder Gewerkschaftsvorsitzender, auch nicht als Aufsichtsrat in Wirtschaftsunternehmen jeder Art. Diese Tätigkeiten können, wenn sie vorher ausgeübt wurden, für die Dauer des Mandats ruhen; die professionellen Erfahrungen des einen Berufes können dem anderen ggf. auch jeweils hinterher nutzbar gemacht werden. Niemand muss alles gleichzeitig tun.

6. Altersversorgung

Wenn man das Abgeordnetenmandat nicht als eine Unterbrechung jedweder Berufstätigkeit, sondern als deren zeitweilige Fortsetzung an anderer Stelle versteht, macht das eigene gesetzliche Versorgungssystem für die Abgeordneten keinen Sinn. Der Abgeordnete ist auch kein Lebenszeitbeamter, dessen amtsangemessener Lebensstandard im Alter zu sichern wäre. Der Bund könnte einfach arbeitgeberartig die Zahlung an die bisher zuständigen Versicherungsträger oder Versorgungswerke fortsetzen.

7. Beiträge zu anderen Sozialversicherungssystemen

Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung werden wie bisher auch mit anteiligen „Arbeitgeber-“ und „Arbeitnehmer“-Beiträgen an die vor der Mandatsannahme zuständige Versicherung gezahlt. Zusätzlich sollte der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung entrichtet werden.

8. Aufwendungspauschale

Die pauschale Abgeltung mandatsbedingter Kosten der Abgeordneten, die von Teilen der Öffentlichkeit gern als Zusatzgehalt missverstanden wird, mag verwaltungsseitig für praktisch gehalten werden, möglich sind aber auch andere Verfahren der Kostenerstattung, wie das hessische Beispiel zeigt. Mandatsbedingte Kosten sollten in Zukunft im wesentlichen auf Nachweis erstattet werden, so wie dies bei Mitarbeitern, Telekommunikationskosten (Telefon, Fax, E-Mail, Internet) oder Büromaterial schon heute der Fall ist. Dabei können Obergrenzen eingezogen und ggf. einzelne Budgets gegeneinander aufrechenbar gemacht werden. Dies betrifft insbesondere die Kosten für die Wohnung in Berlin und das Büro im Wahlkreis. Übrig bliebe eine kleine auszahlbare Pauschale für den mandatsbedingten Mehraufwand der doppelten Haushaltsführung an Wohnort und Parlamentssitz (für all jene Abgeordneten, die nicht zufällig Berliner Wahlkreise oder Landeslisten vertreten).

9. Verkleinerung des Bundestages

Mit 598 Abgeordneten (inklusive Überhangmandaten zur Zeit 601) ist der Deutsche Bundestag eines der größten demokratisch gewählten Parlamente der Welt. Nur die Jubel-Kammern von Diktaturen wie China (3000) und Libyen (2700) sind noch deutlich größer – und das Parlament der EU mit ihren 25 Mitgliedsstaaten: Es hat 732 Sitze. Die russische Duma kommt auf 450 und das Repräsentantenhaus der USA auf 435 Sitze. Eine Schrumpfkur auf etwa 400 Mandate würde die Arbeitsfähigkeit verbessern helfen. Jedenfalls bedeuten mehr Repräsentanten nicht automatisch mehr Demokratie, sondern tendenziell mehr Selbstbeschäftigung.

10. Öffentlichkeit der Ausschüsse und Konzentration des Plenums

Um einen Teil der tatsächlichen Parlamentsarbeit, die immer noch zuallererst mit dem Sitzen eines großen Auditoriums im Bundestagsplenum identifiziert wird, sichtbar zu machen, sollte zu den Sitzungen der Bundestagsausschüsse künftig in der Regel die Öffentlichkeit einschließlich Fernsehen zugelassen werden. Nur in besonderen Fällen sollten Ausschusssitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Viele Fragen, die bereits in den Ausschüssen beraten und abgestimmt worden sind, müssen dann nicht ein weiteres Mal im Bundestagsplenum diskutiert werden, sondern können hier auch ohne erneute Aussprache abgestimmt oder zu Protokoll genommen werden. Die Zahl der Plenumstage je Sitzungswoche könnte von drei auf einen reduziert werden – dann allerdings bei voller Präsenz der Abgeordneten. Diese Reform mag wie eine Kapitulation aussehen. Es ist eine. Die leeren Reihen in den Fernsehübertragungen aus dem Plenum will niemand verstehen, der die Arbeit des Parlaments nicht kennt. Man wird nicht umhinkönnen, den schnöden Anschein zu ändern.