Interview mit Hans-Peter Bartels für Zeit-Online am 13.08.2014

ZEIT ONLINE : SPD-Chef Sigmar Gabriel hat Rüstungsexporte in Krisenstaaten lange abgelehnt. Jetzt aber schließt er Waffenlieferungen an die von den IS- Terroristen bedrohten Kurden im Irak nicht mehr aus . Wie kommt es zu diesem Kurswechsel?
Hans-Peter Bartels : Hier gilt es zu unterscheiden: Rüstungsexporte sind Lieferungen deutscher Unternehmen an Staaten, die Militärgüter kaufen wollen. In der Irak-Krise reden wir von zwischenstaatlicher Ausrüstungshilfe. Der Irak bittet Deutschland darum, und das militärische Gerät käme aus den Beständen der Bundeswehr.
Die Verteidigungsministerin hat außerdem deutlich gemacht, welche Art nicht lethaler Ausrüstung die Bundesregierung für die bedrohten Kurden bereit stellen will: etwa Schutzwesten, Minendetektoren und Transportfahrzeuge – keine Waffen. Wir sollten uns keine Illusionen machen: Die schnelle Hilfe, die die Kurden und Jesiden im Irak brauchen, kann gegenwärtig nur von den Amerikanern kommen. Sie haben einen Flugzeugträgerverband in der Nähe, sie haben den Stützpunkt in Incirlik in der Türkei, von dem aus sie Kampfflugzeuge schicken können. Wir haben solche Vor- Ort-Strukturen überhaupt nicht.
ZEIT ONLINE : Noch am Montag sagte die SPD-Generalsekretärin, ihre Partei wolle eine politische Lösung. Waffenlieferungen der deutschen Bundeswehr an die Kurden seien „keine Option“. Am Dienstag dann sagt Gabriel nach einem Treffen mit Vertretern der Jesiden in Deutschland, er wolle nichts mehr ausschließen. Das ist ein Positionswechsel.
Bartels: Uns allen ist, glaube ich, in den vergangenen Tagen noch deutlicher vor Augen getreten, was da droht. Die SPD reagiert also ein Stück weit auch auf die dramatischen Bilder und die sich verändernde Diskussion. Ein Schwenk ist das nicht: Die SPD hat es von Anfang an befürwortet, dass die Amerikaner Waffen und Nachschub an die Kurden abgeben, damit diese sich besser gegen die Islamisten verteidigen können. Wenn die Amerikaner ausfielen, könnte Deutschland das – mit Zeitverzögerung – sicher auch tun. Aber diese Frage stellt sich aktuell nicht.
ZEIT ONLINE : Am Mittwoch haben die Franzosen entschieden , Waffen an die Kurden zu liefern. Auch EU-Staaten greifen damit in den Konflikt ein. Ist es nicht moralisch fragwürdig, eine solche Waffenlieferung zu unterstützen, auch wenn Deutschland das bisher nur verbal tut?
Bartels: Das Problem ist ja nicht banal: Die Amerikaner haben die irakische Armee ausgerüstet und diese Waffen befinden sich jetzt in den Händen der IS-Milizen. Dass sich das wiederholt, müssen wir verhindern. Der Irak ist ein schwieriger Staat, es gibt Autonomiebestrebungen unter seinen Bevölkerungsgruppen und wir müssen aufpassen, dass die Waffen in Zukunft nicht gegeneinander eingesetzt werden. Dieser Überbietungswettbewerb, den wir in der innenpolitischen Diskussion derzeit haben, nach dem Motto: Sollen wir Waffen schicken oder gleich selbst mitbombardieren, der nützt den Betroffenen daher gar nichts. Kein EU-Land hat militärische Strukturen vor Ort für radikale Soforthilfe.
ZEIT ONLINE : Die deutsche Verteidigungsministerin will nun Ausrüstung liefern, die „nicht tödlich ist“, wie sie sagt. Klingt, als wollten wir nur so halb beteiligen.
Bartels: Nein, es geht darum, wie wir gemeinsam mit den anderen Europäern mittelfristig helfen können. Aber so einfach, wie das mit der Ausrüstungshilfe klingt, ist es auch nicht: Wenn man Fahrzeuge liefert, dann müssen die Kurden diese auch bedienen können. Wo bilden wir sie aus? Vor Ort oder hier in Deutschland? Wir können nur mittelfristig diese Hilfe bringen, das ist leider keine Frage von Tagen, sondern eine von Wochen.
ZEIT ONLINE: Ist das die „neue deutsche Verantwortung“ bei militärischen Engagements, die Bundespräsident Joachim Gauck und Verteidigungsministerin Leyen eingefordert haben? Wir machen ein bisschen mit, uns aber die Hände nicht schmutzig, während die Amerikaner auf IS bomben und die Franzosen Waffen liefern?
Bartels: In der Debatte um die neue deutsche Verantwortung ging es darum, dass wir uns ehrlich machen etwa beim Thema militärische Interventionen. Es soll Schluss sein damit, sich hinter unseren Bündnissen zu verstecken, als müssten wir immer erst abwarten, was andere in der Nato beschließen oder in der UN oder innerhalb der EU. Bei der Positionsbestimmung sind wir von Anfang an aktiv mit dabei. Deshalb ist es gut, für die Irak-Hilfe jetzt eine gemeinsame europäische Initiative zu formulieren.
ZEIT ONLINE: Im Irak verlassen wir uns aber wieder auf die Amerikaner.
Bartels: Die USA haben nun mal eine besondere Verantwortung für die Situation im Irak. Das hat recht naheliegende historische Gründe – und außerdem sind die Amerikaner wie gesagt die einzigen in der Region, die sofort handlungsfähig sind. Wir Deutschen wollen eine bewusstere Außenpolitik machen, das heißt nicht unbedingt, dass wir uns überall an erster Stelle sehen oder dass militärische Interventionen für uns das Allheilmittel sind. Wir sind sehr gefragt im Ukraine-Konflikt und auf dem Balkan, da hat Deutschland seit vielen Jahren ziemlich erfolgreich den Hut auf.
ZEIT ONLINE: Sie kamen Ende der neunziger Jahre in den Bundestag, als die rot-grüne Bundesregierung über den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr fast zerbrach. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hatten einige Mühe, ihren Parteien den Pazifismus auszureden. Wie steht die SPD heute zu Militäreinsätzen, ist der innerparteiliche Konflikt ausgestanden?
Bartels: Es ist heute Konsens in der SPD, dass man manchmal militärische Gewalt einsetzen muss, um Leben zu retten. Der Einsatz im Kosovo hat uns recht gegeben. Grüne und SPD führen diese Diskussionen um einen radikalen Pazifismus nicht mehr. Selbst Kirchenvertreter wie Margot Käßmann können sich solche Notsituationen vorstellen. Nur die Linkspartei steht noch vor der Frage, die wir bereits 1999 diskutierten. Sie hat Ihre Zerreißprobe noch vor sich.
ZEIT ONLINE : Kann man etwas aus dem Kosovo-Einsatz für den Irak lernen?
Bartels: Allein im Kosovo mit seinen knapp zwei Millionen Einwohnern wurden damals 68.000 Nato-Soldaten eingesetzt. Damit war das Morden von einem auf den anderen Tag beendet. Das schafft man nicht mit Drohnen, sondern nur mit dem Einsatz von vielen Soldaten, “ boots on the ground „, wie es im Nato-Jargon heißt. Doch der Irak ist viel größer, keiner denkt daran, noch einmal Bodentruppen zu schicken. Im Irak geht es jetzt darum, Fluchtkorridore für Jesiden und Christen zu schaffen und darum, dass die irakische Regierung alle Bevölkerungsteile, auch die Sunniten, einbindet und damit auch das Militär wieder handlungsfähig wird. Denn IS hat, nach allem wir wissen, ohne sunnitische Milizen maximal 15.000 Kämpfer. Die sind extrem fanatisch, aber keine Riesentruppe. Die irakische Armee ist viel größer, aber demoralisiert. Ihr Ziel muss es sein, wenn Bagdad wieder handlungsfähig ist, die Kampfkraft der IS-Milizen völlig zu zerschlagen. Das ist keine Frage von Interventionstruppen von außen, sondern eine, die von einheimischen Kräften mit internationaler Unterstützung gelöst werden kann.