Diskussionspapier von Hans-Peter Bartels vom Februar 2002

Nicht das Parlament, sondern die Regierung ist für die Gestaltung deutscher Außenpolitik verantwortlich. Eine Bundestagsmehrheit wird aber zwingend gebraucht, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen zu ratifizieren oder Einsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes zu beschließen sind.

Die Kontinuität des deutschen Engagements auf dem Balkan, in der internationalen Terrorbekämpfung und als Teil der UN-Friedenstruppe in Afghanistan zeigt aber, dass die Notwendigkeit der konstitutiven Zustimmung des Bundestages auch für jede Verlängerung oder Veränderung lang andauernder Einsätze unpraktisch werden kann.

Besser wäre in Zukunft eine kontinuierliche parlamentarische Begleitung der beschlossenen Mission durch die im Grundgesetz verankerten Bundestagsausschüsse für Verteidigung und für auswärtige Angelegenheiten. Denkbar wäre eine Ergänzung des Grundgesetzes, wie es sie für Angelegenheiten der Europäischen Union, wo es auch um Souveränitätsfragen geht, bereits gibt. Das heißt, die zuständigen Ausschüsse nehmen nach einem konstitutiven Beschluss des Gesamtparlaments erweiterte und näher zu beschreibende Rechte des Bundestages gegenüber der Regierung wahr. Das müsste über ein reines Informationsrecht hinausgehen. Stellungnahmen der Ausschüsse wären angemessen zu berücksichtigen.

Beispiel: Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach Artikel 45 Satz 2 GG kann der Bundestag den Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union ermächtigen, die Rechte des Bundestags gemäß Artikel 23 Abs. 2 und 3 GG, d.h. insbesondere die Abgabe von Stellungnahmen gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen. Das Grundgesetz selbst überträgt dem Unionsausschuss keine Mitwirkungsbefugnisse, sondern der Bundestag muss den Ausschuss durch Beschluss generell für eine bestimmte Gruppe von Unionsvorlagen oder ad hoc im Einzelfall zur Mitwirkung ermächtigen. Der Unionsausschuss besitzt dann kraft Ermächtigung ein eigenes Beschlussrecht.

Parlamentsvorbehalt

Die „Adria-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts begründet das generelle Zustimmungserfordernis des Deutschen Bundestages bei allen Einsätzen bewaffneter Streitkräfte außerhalb des NATO-Gebietes. Das Gericht folgert dies aus der Systematik der Wehrverfassung. Insofern folgen das Zustimmungserfordernis und die nachfolgenden Kontrollrechte des Bundestages – und damit des Plenums – aus dem Grundgesetz.

Auch nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1994 sind bis in die Gegenwart einige Punkte nicht ausreichend geregelt:

Unter welchen Bedingungen der Bundestag einen neuen Beschluß über den Einsatz zu treffen hätte, wenn sich ein Konflikt verschärfen sollte.

Ob der Bundestag eine Ermächtigung vorab für verschiedene Einsatzkonstellationen erteilen könnte oder ob das Parlament sich an Beschlüsse in internationalen Organisationen (Vorratsbeschluß für NATO-Einsätze) binden kann.

Es fehlt eine genaue Definition der „Notkompetenz“ der Bundesregierung bei Gefahr im Verzug sowie eine Begriffsbestimmung von nicht zustimmungsbedürftigen „Hilfsdiensten und Hilfeleistungen“.

Das Verfassungsgericht hatte in seinem Urteil angeregt, die offenen Fragen sowie generell die konkrete Ausgestaltung des Parlamentsvorbehaltes in einem Entsendegesetz vorzunehmen. Ein solches Gesetz ist bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verabschiedet und ist von der Bundesregierung bisher auch nicht vorgelegt worden.

Besondere Kompetenzen für den Veteidigungsausschuß: Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung

Eine Übertragung erweiterter Befugnisse auf den Verteidigungsausschuss würde eine Grundgesetzänderung nötig machen, da das Zustimmungserfordernis des Bundestages zu Bundeswehreinsätzen sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes auf den Bundestag bezieht, womit nach gängiger Rechtsauffassung das Plenum gemeint ist.

Die Übertragung vom Kompetenzen des Bundestages auf seine Unterorgane ist im Grundgesetz nicht ausdrücklich geregelt. Aus der Aufgabenzuteilung in der Geschäftsordnung des Bundestages folgt, dass Ausschüsse interne Hilfsorgane des Bundestages darstellen, es sei denn, daß die Aufgabenübertragung ausdrücklich im Grundgesetz erfolgt und die Aufgabe nicht nach dem Grundgesetz dem Plenum vorbehalten ist. Folglich dürfen Befugnisse nicht durch einfaches Gesetz, sondern nur durch Verfassungsänderung vom Plenum auf Ausschüsse übertragen werden.

Verfassungsrechtliche Vereinbarkeit der Ãœbertragung von Befugnissen auf den Verteidigungsaussschuss

Eine entsprechende Verfassungsänderung wäre nach der Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zulässig:

Sie würde keinen der von der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG erfaßten Grundsätze in seinem Kernbereich berühren.

Das Gewaltenteilungsprinzip wäre nicht betroffen, da es sich um eine interne Aufgabenübertragung innerhalb des Verfassungsorgans Bundestag handeln würde, nicht um eine Kompetenzübertragung auf ein anderes Verfassungsorgan.

Das Prinzip der Repräsentativität ist nicht in seinem Kernbereich betroffen, da nur einzelne Entscheidungsbefugnisse des Parlaments übertragen werden.

Das aus Artikel 38 Absatz 1 GG ableitbare Teilhaberecht kleiner Fraktionen, dass grundsätzlich jeder Fraktion eine Vertretung in Ausschüssen mit Entscheidungsbefugnissen garantiert, ist durch die derzeitige Größe des Verteidigungsausschusses gewährleistet.

Während der Bundestag grundsätzlich öffentlich tagt (Artikel 42 Abs. 1 GG), gilt dies nicht für die Ausschüsse. Auf sie findet Artikel 42 keine Anwendung. Eine Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf den Verteidigungsausschuss, die die kontinuierliche parlamentarische Kontrolle der Auslandseinsätze möglich machen sollte, auch unter den Aspekten, dass den spezifischen Geheimschutzerfordernissen Rechnung getragen und die Verfahren beschleunigt werden sollten, bedeutete zwar eine Einschränkung desPublizitätsgrundsatzes, ließe sich aber nach Auffassung von Verfassungsrechtlern rechtfertigen. Denkbar wäre z.B. auch eine öffentliche Beschlussfassung nach vertraulicher Aussprache.

Eine Änderung bzw. Ergänzung des Grundgesetzes, durch die dem Verteidigungsausschuß mit Blick auf die Entscheidung und Kontrolle im Bereich der Auslandseinsätze der Bundeswehr besondere Befugnisse übertragen werden, wäre verfassungskonform.

Vorschlag einer Regelung

Denkbar wäre eine Ergänzung von Artikel 45a GG, der bisher nur festlegt, dass der Verteidigungsausschuß – im Gegensatz zu allen anderen Ausschüssen des Deutschen Bundestages – sich selbst als Untersuchungsausschuß konstituieren kann.

Sinnvoll wäre eine Ergänzung des Artikels 45 Absatz 2 GG dahingehend, dass dem Bundestag das Recht eingeräumt wird, dem Verteidigungsausschuss Kontroll- und Entscheidungsrechte über den Fortgang von Auslandseinsätzen zu übertragen. Die Übertragung sollte jeweils Teil des konstitutiven Beschlusses über einen konkreten Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Bündnisgebietes sein. Sie sollte mit einfacher Parlamentsmehrheit rückholbar sein. Näheres könnte in der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt werden.

Idealerweise enthielte ein ergänzter Artikel 45 GG den Verweis auf ein Entsendegesetz, das auch die Rechte des Parlaments sowie die Pflichten der Bundesregierung mit Blick auf den Auslandseinsatz von Bundeswehrsoldaten regeln würde.