Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember 2004

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in diesem Hause schon oft über die neuen Anforderungen an unsere Bundeswehr diskutiert. Wir haben darüber gesprochen, wie sich das sicherheitspolitische Umfeld nach 1989 und auch nach dem 11. September 2001 gewandelt hat und welchen neuen Bedrohungen und Einsatzrealitäten wir uns heute gegenübersehen.

Die Transformation der Bundeswehr – das heißt: die Ausrichtung unserer Streitkräfte auf die heute und zukünftig wahrscheinlichsten Einsätze – ist unsere Antwort auf die veränderten Bedingungen. Über das neue Konzept und über Peter Strucks Hindukusch-Doktrin gibt es im Grundsatz keinen Streit. Das ist eine gute Basis, auf der wir hier im Parlament gemeinsam arbeiten.

Das Gesetz, über das wir heute beraten, bringt zum Ausdruck, wie viel sich geändert hat und dass wir als Gesetzgeber mit dieser Entwicklung Schritt halten müssen. In den Zeiten des Kalten Krieges stellten sich jedenfalls die Fragen, die wir jetzt regeln, nicht. Der bewaffnete Konflikt, für den die Bundeswehr damals vorgesehen war, wäre der dritte Weltkrieg gewesen, geführt in der Mitte Europas. Da hätten sich die Fragen nach Vorauskommandos und Einsätzen geringer Intensität gar nicht gestellt. Es ging damals immer um den Worst Case, um die höchste Intensität.

Es spricht für dieses Parlament und das Verhältnis der demokratischen Parteien untereinander, dass wir auch ohne spezielle gesetzliche Grundlage seit nunmehr zehn Jahren über Auslandseinsätze beschließen – und dies in den allermeisten Fällen mit einer sehr breiten Mehrheit. Trotz gelegentlicher politischer Differenzen bei der Bewertung einzelner Einsätze stand seit 1994 nie mehr das parlamentarische Beteiligungsverfahren selbst im Zentrum der Diskussion. Dass wir hier im Bundestag über die Teilnahme deutscher Soldaten an internationalen Einsätzen abstimmen, ist mehr als nur die pflichtschuldige Erfüllung einer Vorgabe unseres Verfassungsgerichts. Der Parlamentsvorbehalt ist zu einem Grundpfeiler unseres Verständnisses vom Charakter der Bundeswehr geworden. Sie ist eine Parlamentsarmee.

(Beifall bei der SPD)

Die Debatten über viele Einsätze haben gezeigt, dass wir uns der großen Verantwortung bewusst sind, die mit der Beteiligung deutscher Streitkräfte an internationalen Missionen verbunden ist. Wir dürfen es uns nicht leicht machen und wir machen es uns nicht leicht; darüber besteht wohl fast Einigkeit in diesem Hause.

Weil das so ist, hätte ich mir gewünscht, dass wir heute über einen Gesetzentwurf aller Fraktionen entscheiden können. Dazu ist es nicht gekommen. Uns liegt neben unserem Koalitionsentwurf auch ein FDP-Gesetzentwurf vor. Die Union hat das alles zwar kommentiert und kritisiert. Auf einen eigenen Entwurf hat sie allerdings verzichtet. Vielleicht wurden von den Kollegen Schäuble, Schmidt und Pofalla zu viele unterschiedliche Linien vertreten. Da Sie nicht in der Verantwortung stehen, müssen Sie sich auch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Wir können zur Not damit leben.

Insgesamt aber – das sollte nicht verschwiegen werden – haben wir in den vergangenen Monaten fraktionsübergreifend sehr sachlich und konstruktiv über den Parlamentsvorbehalt und seine Ausgestaltung diskutiert. Das war dem Thema angemessen.

Zur öffentlichen Anhörung am 17. Juni dieses Jahres waren als Sachverständige mit den Professoren Schmidt-Jortzig und Scholz zwei ehemalige Kollegen geladen, die die parlamentarische Praxis aus eigener Erfahrung als Abgeordnete und Minister kennen. Das Hearing hat bestätigt, dass wir mit unseren Regelungsvorstellungen auf einem guten verfassungskonformen Weg sind. Das gilt übrigens auch für den FDP-Entwurf. Er ist verfassungsrechtlich absolut unbedenklich.

Unser Entwurf ist – so viel Eigenlob sei erlaubt – eine angemessene, schlanke und in einzelnen Regelungen elegante Lösung.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist nun wirklich übertrieben!)

Die Rechte des Parlaments bleiben voll gewahrt. Wir bleiben beim bisherigen Verfahren. Die Parlamentspraxis der vergangenen Jahre stand für das Gesetz Pate. Diese Praxis hat aber auch gezeigt, wo noch Entscheidungsabläufe verbessert werden können. In einigen Fällen, zum Beispiel bei Einsätzen geringer Intensität oder bei der Verlängerung unstrittiger Mandate, wird es künftig die Möglichkeit geben, ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren anzuwenden. Die Zustimmung gilt in diesen Fällen als erteilt, wenn nicht eine Fraktion innerhalb bestimmter Fristen die Befassung des Bundestages verlangt.

Das Gesetz enthält zudem eine Legaldefinition des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Es wird klargestellt, dass vorbereitende Maßnahmen und Planungen wie bisher Sache der Exekutive sind. Ebenso werden rein humanitäre Hilfeleistungen der Bundeswehr, auch wenn die eingesetzten Soldaten zum Selbstschutz Waffen tragen, nicht dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt

Schließlich verankern wir im Gesetz ein Rückholrecht des Parlaments. In der Begründung heißt es nüchtern, aber sehr richtig, diese Vorschrift beende „die bisher bestehende Unsicherheit, ob der Deutsche Bundestag die einmal getroffene Entsendeentscheidung aus eigenem Recht wieder rückgängig machen kann oder nicht“. Die Inanspruchnahme des Rechts, eine gegebene Zustimmung zu widerrufen, wird wahrscheinlich die ganz große Ausnahme bleiben. Es ist trotzdem wichtig. Nicht nur das vereinfachte Verfahren gewinnt dadurch an Akzeptanz, dass wir als Parlament wissen, dass wir notfalls ein Ende des Einsatzes erzwingen können. Das Rückholrecht hat auch Bedeutung für andere Fälle.

In der vergangenen Woche haben wir mit großer Mehrheit der Beteiligung der Bundeswehr an der nun EU-geführten Operation Althea in Bosnien-Herzegowina zugestimmt. Im Antrag der Bundesregierung heißt es, dass unsere Soldaten eingesetzt werden können, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ein entsprechender Beschluss der EU bzw. des NATO-Rates sowie die konstitutive Zustimmung des Bundestages vorliegen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Mandaten gibt es aber keine ausdrückliche zeitliche Befristung. Die Operation Althea wird uns also nicht in regelmäßigen Abständen beschäftigen, weil eine weitere Verlängerung um ein halbes oder ein ganzes Jahr ansteht. Das war auch schon bei der NATO-geführten Vorgängermission so. Wenn wir als Bundestag aber ein solches zeitlich unbefristetes Mandat erteilen, hat es eine gewisse innere Logik, dass wir auch das Recht haben müssen, gegebenenfalls die Zustimmung zu widerrufen.

Insgesamt haben wir, wie ich glaube, das richtige Maß gefunden. Dort, wo es notwendig ist, haben wir rechtliche Klarstellungen und Anpassungen vorgenommen. Aber wir haben uns im Wesentlichen auf die bewährten Abläufe gestützt und sie lediglich mit einem festeren rechtlichen Unterbau versehen.

Weshalb nun die FDP die Notwendigkeit sieht, zusätzlich ein spezielles Sondergremium zu schaffen, ist mir immer noch etwas unklar. Geheimhaltungsbedürftige Einsätze – das wurde schon angesprochen – werden bisweilen als Begründung genannt. Aber welche Auslandseinsätze sollen das sein? Den Kosovo, Bosnien, Afghanistan oder den Sudan können sie wohl nicht betreffen. Geht es um Evakuierungsaktionen? Es ist doch klar, dass diese nicht vor Beginn der Operation in aller Öffentlichkeit diskutiert werden können. Für diese Fälle brauchen wir keinen neuen Ausschuss und überhaupt keine vorherige formale Befassung des Parlaments, siehe § 5 unseres Gesetzentwurfs.

(Jörg van Essen [FDP]: Das gilt doch nur, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht! Es gibt noch andere, zum Beispiel Aufklärungseinsätze!)

Beispiele für übrige Einsätze haben wir von Ihnen nicht gehört.

(Jörg van Essen [FDP]: Der stellvertretende Generalinspekteur hat sie doch in der Anhörung genannt!)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir hier geheime Einsätze beschließen müssten, sofern es nicht um die schnelle Rettung von Menschenleben gehen sollte, also etwa um Evakuierungen.

(Jörg van Essen [FDP]: Diese Beispiele wurden genannt!)

– Nein, es gibt keine Notwendigkeit, etwas, das wir lange vorbereiten können, geheim zu halten. Abgesehen davon glauben Sie doch auch nicht, dass es dann geheim bleibt.

Wenn etwas geheim zu halten ist, dann haben wir im Übrigen die Möglichkeit, im geheim tagenden Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschuss unsere Fragen beantwortet zu bekommen und die Erörterungen anzustellen, die Sie möglicherweise im Auge haben.

(Jörg van Essen [FDP]: Im Plenum haben wir die Möglichkeit!

Ich erkenne nicht, dass wir dafür ein gesondertes Gremium brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Geschwindigkeit anmerken. Bisweilen wird vermutet, unsere Praxis des Parlamentsvorbehalts sei zu langwierig und verzögere im Ernstfall Einsätze etwa von NATO Response Forces oder EU Battle Groups. Das ist ein zäher Aberglaube, gegen den sich auch empirisch argumentieren lässt: Wenn eine schnelle Entscheidung erforderlich war, dann waren wir immer sehr schnell. In dringenden Fällen erfolgte die konstitutive Zustimmung des Bundestages noch am Tag des Kabinettsbeschlusses. Ob hingegen die internationalen Abstimmungsprozesse oder die Beratungen im großen NATO-Rat immer so schnell gehen werden, sei dahingestellt. Ich habe da meine Zweifel.

Mit unserem Parlamentsbeteiligungsgesetz schaffen wir in einem wichtigen Bereich Klarheit und Rechtssicherheit – für uns, aber auch für die Soldaten. Ich bin sicher: Das Gesetz wird sich in der Praxis bewähren.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

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