Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 25. März 2004

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit mehr als einem Jahrzehnt sind Soldaten der Bundeswehr an größeren internationalen Einsätzen beteiligt. Nach Ende des Kalten Krieges war dies eine gänzlich neue Situation für die Bundeswehr und ihre Soldaten und auch für die Politik.

Anfangs waren die rechtlichen Grundlagen einigermaßen unklar. Erst die wegweisende Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1994 sorgte für Rechtssicherheit. Danach ist der Einsatz unserer Streitkräfte im Ausland – damals hieß er „out of area“ – im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit mit unserem Grundgesetz vereinbar. Gleichzeitig machten die Verfassungsrichter aber deutlich, dass die Bundesregierung grundsätzlich immer die konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen hat, bevor deutsche Soldaten an bewaffneten Einsätzen im Ausland teilnehmen. In den Leitsätzen des Urteils heißt es:

Es ist Sache des Gesetzgebers, jenseits der im Urteil dargelegten Mindestanforderungen und Grenzen des Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten.

Mit dem vorliegenden Entwurf eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes machen wir von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dass dies nicht schon längst geschehen ist, ist nicht unbedingt ein Versäumnis der Politik. Das Gericht hat es in diesem Fall im Unterschied zu vielen anderen Entscheidungen weitgehend dem Parlament selbst überlassen, das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung zu regeln. Es hat dies weder dringlich angemahnt noch eine Frist gesetzt.

Ich will hier ausdrücklich festhalten: In den Jahren seit Verkündung der Karlsruher Entscheidung hat sich eine Praxis der parlamentarischen Mitbestimmung bei Auslandseinsätzen herausgebildet, die gut ist. Das Verfahren hat sich bewährt. Die Bundeswehr ist ein wahres Parlamentsheer. Wir wollen, dass das so bleibt.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Mehr als 30-mal haben wir hier im Bundestag über Auslandseinsätze abgestimmt. – Ich glaube nicht, dass es 50 Entscheidungen waren, wie irrtümlich auf dem Deckblatt des Gesetzentwurfes steht. – 8 000 unserer Soldaten sind derzeit außerhalb des NATO-Gebiets stationiert: auf dem Balkan, am Horn von Afrika und in Afghanistan. Seit 1991 waren 170 000 Bundeswehrangehörige, Soldaten, Zivilbedienstete und Reservisten, im besonderen Auslandseinsatz. Hierbei geht es also nicht um irgendeine Nebentätigkeit, sondern durchaus um die Hauptbeschäftigung unserer Bundeswehr.

Für jede Mission gibt es einen Bundestagsbeschluss. In jedem Einzelfall wurde der Antrag der Regierung sehr gewissenhaft – für manchen Kollegen war es manchmal wirklich eine Gewissensprüfung – im Parlament beraten und entschieden. Dabei ist die parlamentarische Zustimmung weit mehr als eine Formalie. Wir erfüllen nicht bloß eine verfassungsrechtliche Vorgabe. Vielmehr gibt der Parlamentsvorbehalt den eingesetzten Soldaten die Gewissheit, dass zu Hause eine parlamentarische Mehrheit hinter ihnen steht, eine Mehrheit, die in den meisten Fällen weit größer war als die der jeweiligen Regierungskoalition.

Die Behandlung der Anträge der Bundesregierung nach dem üblichen parlamentarischen Verfahren – das heißt, mit erster Lesung, Ausschussberatung, zweiter und dritter Lesung und dann Beschlussfassung – hat verhindert, dass jemals der Eindruck entstehen konnte, die Exekutive verfolge unredliche oder parteipolitische Ziele mit der Beteiligung der Bundeswehr an multinationalen Einsätzen. Die Transparenz unseres parlamentarischen Verfahrens ist vorbildlich. Das ist uns in Deutschland aus guten Gründen wichtiger als anderen Nationen, die einen solchen Parlamentsvorbehalt nicht kennen. Immerhin geht es um den Einsatz militärischer Gewaltmittel von Deutschland aus, im Extremfall um Krieg. Damit müssen, nein, damit dürfen wir es uns nicht leicht machen.

Wenn wir nun eine gesetzliche Regelung anstreben, geht es zuallererst darum, das bisherige Verfahren rechtlich zu formalisieren. Die Rechte des Parlaments werden, wie es in der Begründung des Gesetzes nachzulesen ist, weder ausgeweitet noch eingeschränkt. Unser Anliegen ist es vielmehr, Bewährtes auf eine sichere rechtliche Grundlage zu stellen und dort, wo die Praxis gezeigt hat, dassModifikationen des Verfahrens sinnvoll sind, diese vorzunehmen. Alle Erfahrungen, die wir in den vergangenen Jahren gesammelt haben, konnten in unseren Gesetzentwurf einfließen. Insofern ist es ein Vorteil, dass wir nicht gleich nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eine gesetzliche Regelung angestrebt haben. Wir präzisieren nun, was unter einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist. Das ist eine notwendige Klarstellung, die mehr Rechtssicherheit schafft. Kollege Erler hat es angesprochen: Rein humanitäre Hilfeleistungen werden auch künftig nicht der Zustimmung des Bundestages bedürfen.

Unser Parlamentsbeteiligungsgesetz ändert nichts daran, dass vorbereitende Maßnahmen und Planungen weiterhin in den Verantwortungsbereich der Exekutive fallen. Es ist und bleibt Aufgabe der Regierung, sich auf denkbare Entwicklungen planerisch einzustellen. Die Verantwortung des Parlaments kann erst beginnen, wenn es um den konkreten Einsatz deutscher Soldaten geht.

Kein Einsatz ist – das hat in der Vergangenheit bisweilen für Unsicherheit gesorgt – die Arbeit von Bundeswehrangehörigen in ständig integrierten sowie multinational besetzten Stäben und Hauptquartieren der NATO und anderen Organisationen kollektiver Sicherheit. Jede andere Regelung würde unsere Bündnisfähigkeit infrage stellen. Anders verhält es sich beim Einsatz unserer Soldaten in multinationalen Stäben und Hauptquartieren, die speziell für einen konkreten Auslandseinsatz gebildet werden. Diesen Unterschied zu machen halten wir für notwendig.

In unserem Gesetz schreiben wir die bewährte Praxis fest, dass der Antrag der Bundesregierung, mit deutschen Soldaten an einer internationalen Operation teilzunehmen, vom Parlament nicht geändert oder ergänzt werden kann. Dies entspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, Kollege von Klaeden, das in seinem Beschluss von 1994 gesagt hat: Die Festlegung von Modalitäten, Umfang und Dauer des Einsatzes ist Teil der exekutiven Handlungsbefugnis und Verantwortlichkeit in außenpolitischen Fragen.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das hatte ich zitiert!)

Wir werden im Bundestag nicht Generalstab spielen und wir können es auch nicht. Wir legen nur fest, welche Angaben der Antrag enthalten muss: Einsatzauftrag und -gebiet, rechtliche Grundlagen, Höchstzahl und Fähigkeiten der einzusetzenden Streitkräfte, die Dauer des Einsatzes, die voraussichtlichen Kosten und deren Etatisierung. Das sollte nicht kontrovers sein; denn es entspricht bisheriger Übung.

Wir beschließen als Bundestag – auch wenn das Parlamentsbeteiligungsgesetz in Kraft ist – im Kern über die grundsätzliche Frage der Teilnahme an Einsätzen im Ausland. Die konkrete Ausgestaltung des Bundeswehrengagements bleibt Sache der Bundesregierung und Sache der militärischen Fachleute. Da mischt der Bundestag nicht mit. Es ist Quatsch, wenn Kollege von Klaeden – dies hat er auch in der letzten Bundestagsdebatte zur Bundeswehrreform getan – befürchtet, wir wollten eine Gewaltenvermischung in Gesetzesform festschreiben. Wo denn? Wie denn?

(Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Zuhören!)

Eine wichtige Neuerung nehmen wir aber vor, wenn es um die Entscheidung über so genannte Einsätze von geringerer Intensität und Tragweite geht. Die parlamentarische Praxis bzw. vielmehr die Nichtpraxis hat gezeigt, dass es sinnvoll ist, für die Entsendung oder weniger Soldaten ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren zu schaffen. Dies gilt zum Beispiel für die Unterstützung von UN-Beobachtermissionen und für Erkundungskommandos.

Bislang hat die Bundesregierung aber auf entsprechende internationale Anfragen auch deshalb in manchen Fällen zurückhaltend reagiert, weil ohne eine gesetzliche Regelung schon die Entsendung einiger weniger Bundeswehrangehöriger einer formalen Zustimmung des Bundestages bedurft hätte – ein relativ großer Aufwand für Einsätze, die vermutlich ohnehin auf die Zustimmung aller Fraktionen treffen.

Das vereinfachte Verfahren eröffnet der Regierung bei Anfragen der UN, der OSZE oder anderer Organisationen neue Handlungsmöglichkeiten, ohne dass das Parlament seine Rechte aufgeben muss.

Mit der vereinfachten Zustimmungsregelung erleichtern wir auch die konkrete Vorbereitung geplanter Einsätze erheblich. Bisher war es nicht möglich, Soldaten zum Beispiel zur Sondierung der Lage in ein mögliches Einsatzgebiet zu schicken. Das hatte schon praktische Nachteile, zum Beispiel bei der Auswahl von Liegenschaften im Einsatzgebiet. Wir erinnern uns an die Mission in Kabul, wo ein Erkundungskommando schon hilfreich gewesen wäre, sodass man früher im Einsatzgebiet hätte sein können, nachdem der Einsatzbeschluss gefallen war.

(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)

Der bewährte Parlamentsvorbehalt erhält nun eine vernünftige, sehr schlanke, anderthalb Paragraphenseiten starke gesetzliche Grundlage. Wir bleiben bewusst bei dem Verfahren, das auch bei der Behandlung von anderen Anträgen und Gesetzentwürfen Anwendung findet.

Ein Hauptargument jener, die eine Abkehr von diesem Vorgehen fordern – sei es durch Vorratsbeschlüsse, sei es durch neue Gremien –, ist, dass die Entscheidungsfindung des Bundestages zu lange dauere. Mit Blick auf mögliche Einsätze etwa der NATO-Response- Force wird eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit Deutschlands im Bündnis befürchtet. Sind wir wirklich zu langsam? Trödelt die Volksvertretung?

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Fragen Sie Herrn Struck! Was sagt Herr Struck?)

Was sagt die Statistik? Wenn es darauf ankommt, kann der Bundestag sehr schnell entscheiden. In acht Fällen erfolgte der Beschluss des Parlaments noch am Tag des Kabinettsbeschlusses selbst oder am darauf folgenden Tag. In zwei Dritteln der Fälle wurde die Bundestagszustimmung innerhalb von vier Tagen erteilt. Wenn dafür in Einzelfällen Sondersitzungen nötig waren, ist dies auch Ausdruck der Verantwortung, die wir als Parlamentarier für die Bundeswehr übernehmen.

Gerade weil wir die Soldatinnen und Soldaten in gefährliche Einsätze schicken, ist es notwendig, dass die Entscheidung über eine deutsche Beteiligung in jedem Einzelfall vom Bundestag gefasst wird. Es geht vielleicht zackiger; aber schneller als sofort geht es nun wirklich nicht.

(Gernot Erler [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Keiner der Einsätze ist daran gescheitert, dass der Bundestag nicht in der Lage gewesen wäre, eine Entscheidung zu treffen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

Inzwischen haben wir eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Entsendeanträgen der Bundesregierung gewonnen. Routine sollten diese Entscheidungen aber nicht werden. Denn die Frage, ob wir Bundeswehrkontingente für eine internationale Friedensmission bereitstellen, kann für die betroffenen Soldatinnen und Soldaten existenzielle Auswirkungen haben. Die Verantwortung, die wir tragen, können wir nicht auf Sondergremien delegieren und auch nicht auf Vorrat beschließen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

Unserer parlamentarischen Verantwortung tragen wir auch dadurch Rechnung, dass wir dem Bundestag ein gesetzlich abgesichertes Rückholrecht geben – auch wenn die Rückholung deutscher Soldaten gegen den Willen der Regierung in der Realität wohl die große Ausnahme bleiben wird.

Ich bedauere, dass unsere Gespräche mit den Oppositionsfraktionen nicht zur Vorlage eines gemeinsamen Gesetzentwurfes geführt haben. In dieser für die Bundeswehr, aber auch für unser parlamentarisches Selbstverständnis so wichtigen Frage wäre ein interfraktionelles Vorgehen wünschenswert gewesen.

Unsere Positionen liegen auch gar nicht so weit auseinander. Über den Regelungsbedarf besteht in diesem Hause weitgehende Einigkeit. Nicht strittig ist in jedem Fall das Prinzip, dass wir für die Zustimmung zur Entsendung von Erkundungskommandos oder für die Verlängerung unveränderter Einsätze ein einfacheres Verfahren finden sollten. Auch beim Rückholrecht vermag ich grundsätzliche Differenzen nicht zu erkennen.

(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)

Vielleicht finden wir nun in den anstehenden Ausschussberatungen im Interesse der Sache noch zueinander. Dabei ist möglicherweise hilfreich, dass die Union gar nicht erst einen eigenen Antrag vorgelegt hat.

(Jörg van Essen [FDP]: Interessant wäre es schon gewesen!)

– Aber insofern ist es nicht hinderlich.

Außerdem wird unser Gesetzentwurf, wie ich finde, durchaus dem Anspruch gerecht, den die Union vor einem Jahr in einem sicherheitspolitischen Positionspapier formuliert hat. Damals schrieben Sie, Kollege Schmidt:

Fähigkeit zur raschen Reaktion setzt klare, transparente und effiziente politische Entscheidungswege voraus. Hierzu muss ein Parlamentsbeteiligungsgesetz für Auslandseinsätze der Bundeswehr so rasch wie möglich verabschiedet werden, um zum Beispiel deutsche Anteile an der NATO- bzw. EU-Eingreiftruppe in einen Einsatz schicken zu können. Hierzu sind Lösungen zu entwickeln, die die politische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung im Rahmen der NATO und EU sicherstellen, gleichzeitig aber auch die Rechte des Parlaments wahren.

(Gernot Erler [SPD]: Sehr gut! Guter Mann, der Schmidt!)

Genau dies beschreibt, was wir mit unserem Gesetzentwurf erreichen. Man könnte meinen, Sie kannten unseren Entwurf damals schon. Machen Sie mit!

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÃœNDNIS 90/ DIE GRÃœNEN)

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