Rede von Hans-Peter Bartels im Deutschen Bundestag am 11. Juni 2010 ind der Debatte zum Gesetz zur Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wir könnten es uns leicht machen, da Sie es schon schwer genug haben.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Elke Hoff [FDP]: Uns geht es blendend!)

Aber wir haben natürlich ein eigenes Interesse daran, zu einer guten Lösung zu kommen. Wir erkennen Ihre Zweifel an der vorliegenden Lösung und verfolgen mit Interesse die öffentliche Auseinandersetzung über die Vorschläge aus dem Verteidigungsministerium. Sie haben recht, Frau Ministerin: Das Verteidigungsministerium ist bei der Wehrpflicht federführend, der Zivildienst ist davon abgeleitet.

Da wird die Wehrpflicht vor der Sparklausur der Bundesregierung einfach so infrage gestellt. Daraufhin muss die Bundeskanzlerin selbst sagen: Eine solche Entscheidung trifft man jetzt nicht hoppla-hopp in drei Tagen. Wenn man darüber reden will, dann muss man sich Zeit nehmen – und gute Argumente bereithalten; aber das hat sie so nicht gesagt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Parteivorsitzende Seehofer muss darauf hinweisen, dass die CSU – das begrüßen wir – eine Partei der Wehrpflicht ist und dass man die Wehrpflicht nicht mal eben so abschafft. Auch der ehemalige Verteidigungsminister Jung hat in diesen Tagen Gelegenheit gefunden, noch einmal darauf hinzuweisen, was für eine gute, bedeutende, traditionsreiche und erfolgreiche Errungenschaft die Wehrpflicht für unsere Armee in der Demokratie ist. Vielen Dank dafür! Dieser Konsens bestand auch damals in der Großen Koalition.

Das, was wir jetzt von dieser Koalition erleben, ist auch nach den Reden der beiden Minister, die wir gerade gehört haben, der Einstieg in den Ausstieg aus der Wehrpflicht. Sie argumentieren schon so, dass Sie in einem halben Jahr oder in neun Monaten daran anschließen könnten und die Idee des Ausstiegs nicht vollständig dementieren müssten. Diese Reden sind schon der Einstieg zur Abschaffung der Wehrpflicht. Ich hoffe, den Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen ist klar, wozu sie in der nächsten Woche – das ist ein Verfahren im Schweinsgalopp – die Hand heben wollen: um eine Veränderung vorzunehmen, die nur ein Übergangsstadium sein soll.

Die Gründe für den Übergang sind in der Hamburger Rede des Verteidigungsministers relativ deutlich geworden. Noch deutlicher als die Rede war die Punktation, also das Thesenpapier, das das Verteidigungsministerium – das war offenbar hochoffiziell – danach verbreitet hat. Da heißt es – ich zitiere das einmal; das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen –:

Der mittelfristig höchste strategische Parameter, quasi als Conditio sine qua non,

– wir sprechen Latein! –

unter dem die Zukunft der Bundeswehr gestaltet werden muss, … ist das globalökonomisch gebotene und im Verfassungsrang verankerte Staatsziel der Haushaltskonsolidierung …

– Also die Schuldenbremse! Das heißt, entscheidend für die Strategie der Bundeswehr ist die Schuldenbremse. Das ist eine absurde Definition sicherheitspolitischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

Warum halten wir an der Wehrpflicht fest; warum glauben wir, dass die Wehrpflicht die bessere Wehrform für unsere Armee ist?

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist neu bei der SPD!)

– Nein. – Warum verweise ich darauf, dass wir in der Großen Koalition gemeinsam festgestellt haben: „Wir wollen daran festhalten“?

(Elke Hoff [FDP]: Das versteht keiner! Das kann man noch hundertmal erklären, und dann versteht es auch keiner!)

Das haben wir auf unserem Parteitag, der das Wahlprogramm für diese Wahlperiode beschlossen hat, erneut festgestellt. Für die SPD gehört das zu den guten Errungenschaften der Bundesrepublik Deutschland, dass sich die Wehrpflicht in der Demokratie bewährt hat, weil sie die intelligentere Armee hervorbringt, weil sie die Armee in der ganzen Gesellschaft verankert und weil es darüber übrigens auch einen Konsens in der Bevölkerung gibt. Die große Mehrheit der Bevölkerung, etwa Zweidrittel, unterstützt die Wehrpflicht. Das ist – zugegeben – allerdings altersabhängig unterschiedlich.

Wer glaubt, dass die Aussetzung oder die Abschaffung der Wehrpflicht zu einer günstigeren Freiwilligenarmee führt, der möge sich anschauen, wie das in anderen Ländern, die die Wehrpflicht abgeschafft haben, heute tatsächlich aussieht. Haben sie keine Budgetprobleme? Haben sie die bessere Armee? Bekommen sie das Personal, das sie wirklich brauchen? Sind sie dort in der Gesellschaft breit verankert? Wenn wir nach Spanien oder Großbritannien schauen und hören, was uns die dort Verantwortlichen sagen, dann sehen wir: Es gibt erhebliche Probleme, die wir bisher nicht hatten. Wir wollen aber offenbar experimentieren, also werden wir diese Probleme sehenden Auges in Kauf nehmen.

Ich sage: Ja, wir brauchen eine Veränderung der gegenwärtigen Wehrpflichtpraxis. Wir brauchen dann auch eine rechtliche Veränderung. Wir brauchen aber ganz bestimmt nicht diese Veränderung, die der Einstieg in den Ausstieg sein soll; nicht diese Veränderung, die dazu führt, dass in der Bundeswehr erst einmal die ganze Organisation umgebaut werden muss.

Sie müssen den Ausbildungsbetrieb verändern. Sie brauchen mehr Ausbilder. Das wird dann sicherlich billiger, wenn Sie für einige Monate mehr Ausbildung durchführen müssen. Die Wehrpflichtigen werden weniger einsetzbar sein. Wer für sechs Monate kommt, ist nicht nur etwa zu einem Drittel weniger für die Bundeswehr einsetzbar als derjenige, der neun Monate da ist, sondern er wird ja auch drei Monate ausgebildet. Danach ist er aber nicht mehr sechs Monate, sondern nur noch drei Monate in der Truppe. Das ist also kein Vorteil für die Bundeswehr.

Wir sagen aber: Es braucht eine Veränderung, weil es nicht sein kann – Kollegin Hoff hat darauf auch schon hingewiesen –, dass mit der gegenwärtigen Praxis fast die Hälfte der jungen Männer als untauglich ausgemustert wird. Ich glaube, das entspricht nicht dem Gemüts- und Gesundheitszustand unserer Bevölkerung. Es ist nicht die Hälfte für den Dienst in den Streitkräften untauglich. Das ist eher an den Bedarf der Streitkräfte angepasst, der geringer geworden ist. Wir brauchen also Veränderungen.

Zum Zivildienst, Frau Ministerin. – Die ist jetzt gerade nicht mit dabei.

(Caren Marks [SPD]: Doch, wenn sie anwesend ist, ist sie mit dabei!)

– Okay, sie ist anwesend und dabei. Wir können uns beim Zivildienst auch nicht darauf berufen, dass es bei den jungen Leuten populär sei, dass sie etwa forderten, sie wollten nur noch sechs Monate Zivildienst leisten. Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst, Kreuter, der die Einrichtungen in der Bundesrepublik kennt, hat selbst darauf hingewiesen, dass es die Forderung: „Macht das kürzer!“, gerade nicht gibt. Das ist keine populäre Forderung aus den Reihen derer, die betroffen sind, sondern das ist ein rein koalitionstaktischer Kompromiss.

Daneben steht unser Modell, das wir zur Diskussion anbieten und von dem wir hoffen, dass wir darüber wirklich noch einmal reden können. Herr Minister, finden Sie ein Format dafür. Debatten im Parlament kann man jederzeit führen. Im Ausschuss kann man darüber reden. Das ist kein Zugeständnis von Ihnen, sondern so ist die parlamentarische Demokratie konstruiert. Wir können natürlich sagen, was wir meinen. Wenn Sie wirklich wollen, dass es einen Austausch gibt und dass die Diskussion zu einem veränderten Ergebnis führt, müssen Sie ein Format finden, in dem wir uns darüber austauschen können, in dem wir unsere und Ihre Vorschläge nebeneinanderlegen und schauen können, was praktikabel ist.

In der heutigen Zeit, in der die Bundeswehr tatsächlich weniger junge Leute braucht – nicht mehr einen ganzen Jahrgang von 400 000 jungen Leuten, nicht mehr 250 000 W-15er wie zur Zeit des Kalten Krieges, sondern sehr viel weniger –, haben wir die Möglichkeit, den Ersatzbedarf der Bundeswehr über Freiwilligkeit zu decken, können aber die Grundlage der Wehrpflicht beibehalten. Von den tauglich Gemusterten werden dann diejenigen eingezogen, die sich bereit erklären, freiwillig diesen Dienst zu leisten. So ist es schon bei den Reservisten: Obwohl Reservisten verpflichtet werden können, Reserveübungen zu machen, wird heute keiner mehr gegen seinen Willen verpflichtet; sie kommen freiwillig.

Ähnlich ist es bei den freiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden. Dieses Element der Freiwilligkeit haben wir schon heute bei der Wehrpflicht eingeführt. So wollen wir es auch für die Grundwehrdienstleistenden haben: freiwilligen Grundwehrdienst. Das ist rechtlich möglich; das wäre die Lösung des Problems, für das wir – ich glaube, da sind wir einer Meinung – eine Lösung brauchen. Dabei geht es um Wehrgerechtigkeit, aber auch um den Nutzen für die Truppe. Der freiwillige Grundwehrdienst muss für die jungen Männer und für die Bundeswehr von Nutzen sein. Auch den jungen Frauen soll der Grundwehrdienst nicht als Pflicht, sondern als Möglichkeit offenstehen.

Wir bieten Ihnen an, miteinander über dieses Modell zu reden und zu einer vernünftigen gemeinsamen Lösung zu kommen. Es wird immer viel vom Sparen geredet: Sparen Sie sich diesen Gesetzentwurf jetzt!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])

Hinter dem Titel des Gesetzes, über das wir heute beraten, steht in Klammern „Wehrrechtsänderungsgesetz 2010“. Das weist auf eine gewisse Jährlichkeit hin, so als ob wir auch ein Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 zu erwarten hätten. Ich glaube, wenn wir ein Wehrrechtsänderungsgesetz beschließen, sollte seine Geltung von Dauer sein. Wir sollten einen Konsens in diesem Haus finden. Finden Sie ein Format dafür! Wir sind bereit. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

BT-Plenarprotokoll – 11.6.2010

BT-Plenarprotokoll – Auszug Rede Bartels – 11.06.2010