Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 22. April 2005

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP sieht dringenden Bedarf, dass wir heute im Plenum darüber abstimmen, ob sich Deutschland an der Entwicklung desbodengebundenen Luftabwehrsystems MEADS beteiligen soll.

Dass es Ihnen in erster Linie nicht um MEADS und die angeblich unübersehbaren finanziellen Risiken dieses Vorhabens geht, ist mehr als offensichtlich. Sie wollen populistisch einen Keil zwischen Rot und Grün treiben und sich als Wahrer parlamentarischer Transparenz inszenieren. Das können Sie gerne versuchen, aber das wird Ihnen nicht gelingen.

(Beifall des Abg. Rainer Arnold [SPD])

Richtig ist, dass sich unser Koalitionspartner nicht immer leicht getan hat, diesem Rüstungsprojekt zuzustimmen. Auch uns hat die Debatte der Grünen in den vergangenen Wochen nicht immer erfreut. Aber letztlich haben wir uns auf eine gemeinsame Position verständigt. Im Gegensatz zu den jüngsten Verrenkungen der FDP in dieser Frage war der Meinungsbildungsprozess in den Koalitionsfraktionen öffentlich und nachvollziehbar. Zu welchem Zeitpunkt hingegen die FDP beschlossen hat, zum Thema MEADS auf Konfrontationskurs zu gehen, bleibt mir schleierhaft.

(Rainer Arnold [SPD]: Gestern!)

In den Beratungen des Verteidigungsausschusses war jedenfalls lange Zeit nicht erkennbar, dass die FDP dieses neue Luftabwehrsystem für überflüssig und unfinanzierbar hält.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Die FDP soll einmal zur Beichte gehen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Bartels, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
Gerne.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön.

Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Kollege, ich kann Ihnen den genauen Zeitpunkt sagen, wann sich die FDP zum ersten Mal kritisch zu MEADS geäußert hat, nämlich als der Bericht des Bundesrechnungshofes vorlag, in dem MEADS abgelehnt wurde.

Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
In dem Bericht des Bundesrechnungshofes wird MEADS nicht abgelehnt, sondern er enthält Feststellungen, zu denen wiederum die Bundesregierung – wie bei jedem anderen Rüstungsprojekt auch – Stellung nimmt. Im Übrigen sind wir in der Berichterstattergruppe – Herr Nolting, Sie gehörten ihr schließlich an – zu dem einhelligen Ergebnis gekommen, dass wir bei diesem in der Tat nicht billigen Rüstungsvorhaben den Bundesrechnungshof an unserer Seite haben wollen, damit er eine kontinuierliche Kostenkontrolle gewährleistet, wie das inzwischen auch bei anderen Rüstungsprojekten Gegenstand unserer Diskussionen gewesen ist, beispielsweise beim A400M und auch beim Eurofighter.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Sie wollten wissen, ab wann wir dagegen waren!)

– Gut, in diesem Fall bestand die Zwischenfrage aus Antworten. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie aufgeklärt haben, wann auf die neueste Linie eingeschwenkt wurde. Sie sind in dieser Beziehung ja traditionell sehr beweglich und flexibel.

Tatsache ist – ob es der FDP passt oder nicht –: Vorgestern hat derHaushaltsausschuss mit deutlicher Mehrheit und gegen die Stimmen der FDP einen zustimmenden Beschluss zur deutschen Beteiligung an der Entwicklung des Rüstungsvorhabens MEADS gefasst. DerVerteidigungsausschuss hat vorgestern ebenfalls grünes Licht gegeben. Damit sind die Entscheidungen dort gefallen, wo sie nach den Regeln dieses Hauses hingehören.

Wenn es der FDP wichtig ist, können wir natürlich gern heute hier noch einmal die Entscheidungen der Fachausschüsse bestätigen, auch wenn diese Übung eigentlich überflüssig ist. Ich meine, wir sollten nicht dazu übergehen, künftig über jedes Einzelprojekt des Verteidigungshaushaltes im Plenum abzustimmen. Wir beschließen hier im Plenum über das Budget, über den Gesamthaushalt, auch über den Einzelplan 14, und wir beschließen in den Fachausschüssen über konkrete Rüstungsverträge. Ein kleines bisschen Arbeit muss dann auch noch die Regierung machen. So soll es bleiben.

Gegen das Ansinnen der FDP spricht im Übrigen auch, dass gerade bei diesem Vorhaben, um das es heute geht, die bisherige Mitwirkung des Parlaments und seiner Gremien geradezu vorbildlich war. Kein Argument dafür oder dagegen, das nicht zur Sprache kam – von Ihnen allerdings nicht.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)

Vielleicht nutzen Sie deshalb jetzt die Gelegenheit, in aller Öffentlichkeit zu sagen, warum Sie plötzlich umgefallen sind.

Regelmäßig waren der Haushaltsausschuss und der Verteidigungsausschuss mit MEADS befasst. 1996 stand der Einstieg in die so genannte Definitionsphase auf der Tagesordnung. 2001 setzte der Haushaltsausschuss weitere Studien zur Reduzierung des technischen und finanziellen Risikos durch, eine sehr souveräne parlamentarische Entscheidung. Vor einem möglichen Einstieg in die Entwicklung, so der damalige Beschluss, muss in weiteren Untersuchungen dargelegt werden, dass MEADS technisch funktionieren kann und finanziell machbar ist. Ausdrücklich behielt sich der Ausschuss damals vor, nach Abschluss der Risikominimierungsphase erneut über die Fortsetzung des Programms zu entscheiden.

(Jürgen Koppelin [FDP]: Und finanziell machbar!)

– Genau, auch das ist Gegenstand dieser Untersuchungen gewesen.

Der Verteidigungsausschuss hat dann das positive Ergebnis des so genannten Risk Reduction Efforts nicht einfach zur Kenntnis genommen, sondern im November 2003 eigens eine Berichterstattergruppe eingesetzt, die sich knapp ein Jahr lang intensiv mit allen Aspekten von MEADS befasst hat. Luftwaffe, Industrie, Ministerium, Kritiker und der Rechnungshof kamen zu Wort. Im Abschlussbericht dieses parlamentarischen Gremiums wird ausdrücklich der Einstieg in die Entwicklung des Systems empfohlen. Der Verteidigungsausschuss ist dieser Empfehlung gefolgt.

Die FDP sollte akzeptieren, dass sie in den Ausschussberatungen für ihre allerneuste Position keine Mehrheit gefunden hat. Aber darum scheint es hier gar nicht zu gehen. Das zeigt schon der arg knappe Wortlaut des FDP-Antrags. Sie reduzieren ein komplexes Thema auf zehn dürre Zeilen. Deutschland soll sich nicht beteiligen, weil das Vorhaben teuer ist. Mehr an Begründung gibt es nicht. Kein Wort zur militärischen Notwendigkeit, kein Wort zur rüstungspolitischen Dimension, kein Wort zum transatlantischen Aspekt von MEADS. Das ist sehr dünn.

Immerhin, auf den Internetseiten der FDP erklärt uns der Kollege Koppelin, weshalb wir MEADS nicht brauchen. Schon jetzt verfüge Deutschland, so ist dort nachzulesen, mit dem Flugabwehrsystem „Patriot“ über die Fähigkeit, ballistische Raketen wirksam zu bekämpfen. Hätten die Planer im Ministerium das doch bloß eher gewusst! Weil es offenbar doch mehr Aufklärungsbedarf gibt als angenommen, will ich gern ein paar Worte dazu sagen, warum wir MEADS brauchen und weshalb die bisherigen „Patriot“-Fähigkeiten eben nicht ausreichen.

Ausgangspunkt für die Entscheidung, ein neues System zu entwickeln und später zu beschaffen, war die Frage, welche Ausrüstung die deutschen FlaRak-Geschwader für ihre künftigen Aufgaben im Rahmen von NATO, EU und UNO und für die Landesverteidigung brauchen. Die Bundesregierung setzt mit der Unterstützung einer breiten Mehrheit in diesem Hause auf das trinationale Entwicklungsprojekt MEADS, an dem neben Deutschland auch die USA und Italien beteiligt sind.

MEADS wird in der Lage sein, nicht nur ballistische Raketen wirksam zu bekämpfen, sondern Luftbedrohungen jeder Art, von Drohnen und Marschflugkörpern über Hubschrauber und Flugzeuge bis hin zu größeren Kurzstreckenraketen. Das ist neu. Im Unterschied zum alten „Patriot“-System, das Radar und Startgeräte stets in Hauptkampfrichtung aufstellen muss, kann MEADS – auch das ist neu und ein wesentlicher technischer Fortschritt – jederzeit Ziele aus jeder Richtung erfassen und zerstören. Auch sehr schnell sich nähernde Raketen sollen direkt getroffen werden, um durch die enorme Zusammenprallenergie selbst Gefechtsköpfe mit A-, B oder C-Waffen sicher auszuschalten – anders als „Patriot“. Darüber hinaus wird MEADS mit dem neuen Bundeswehr-Airbus in jedes Einsatzgebiet verlegbar sein – anders als „Patriot“.

Diese sehr anspruchsvolle Technik stellt das Maximum dessen dar, was ab dem Jahr 2014 deutschen und verbündeten Truppen in Einsätze mitgegeben werden kann.

(Zuruf von der FDP: Es wäre schön, wenn es das Optimum wäre!)

Unsere Soldaten haben einen Anspruch darauf, dass wir ihnen die modernste Technik mitgeben, wenn sie gefährliche Aufgaben in internationalen Einsätzen übernehmen.

(Beifall bei der SPD)

Tatsache ist, dass für keinen künftigen Einsatz der BundeswehrLuftbedrohungen durch Flugzeuge oder Raketen ausgeschlossen werden können, selbst extreme Bedrohungen nicht. Der politische Kampf um die Nichtverbreitung und Abrüstung von Massenvernichtungswaffen und Trägermitteln ist längst noch nicht gewonnen. Die Zahl der Staaten, auch in der Dritten Welt, die über beides verfügen oder danach streben, ist in den letzten Jahren nicht wirklich kleiner geworden. Deshalb wird MEADS als Sicherheitsvorsorge für unsere eigene Soldaten, aber auch die unserer Verbündeten gebraucht.

Vielleicht würde MEADS auch ohne deutsche und italienische Beteiligung von den Amerikanern entwickelt und beschafft. Aber über die erweiterten Fähigkeiten zur Luftabwehr gegebenenfalls als Europäer auch eigenständig verfügen zu können, das entspricht heute den Erfahrungen und dem Anspruch der gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik. Wer im Zweifel nicht selbst handlungsfähig ist, wird den allein Handlungsfähigen mit guten Ratschlägen wenig beeindrucken. Deshalb ist MEADS ein substanzieller deutscher Beitrag zu größerer europäischer Bewegungsfreiheit.

Es ist darüber hinaus das derzeit wichtigste und beinahe einzige deutsch-amerikanische Rüstungsvorhaben. Gerade deshalb wundert mich, dass die FDP nun den Ausstieg fordert und in Kauf nimmt, unsere amerikanischen Partner vor den Kopf zu stoßen.

Vor knapp zwei Monaten ließ uns Ihr Fraktionsvorsitzender, Wolfgang Gerhardt, in einem Interview mit der „FAZ“-Sonntagszeitung noch wissen, die FDP müsse außenpolitisch die europäisch und „transatlantisch verlässlichste Partei“ sein.

(Dirk Niebel [FDP]: Das heißt aber nicht, dass man jeden Mist mitmachen muss!)

Man beachte den Superlativ! Das scheint nun nicht mehr zu gelten.

Und wie verträgt sich die plötzlich so entschiedene Ablehnung der Beteiligung Deutschlands am transatlantischen MEADS-Projekt mit den „Zehn liberalen Leitsätzen zum transatlantischen Verhältnis“, beschlossen auf dem letzten FDP-Bundesparteitag im Juni des vergangenen Jahres? Dort ist in Leitsatz 5 zu lesen – ich zitiere –:

Transatlantische Rüstungskooperation ist ein Garant für die Zukunft des Bündnisses.

Sehr richtig. Aber welche Projekte könnten gemeint sein, wenn Sie bei MEADS gar nicht mehr dabei sein wollen?

Was den heute abzustimmenden Antrag angeht, sei Ihnen klar gesagt: Wir stehen zu unserem Votum in den Ausschüssen und zu unseren Vereinbarungen mit den Verbündeten. Sie werden für Ihren Antrag in diesem Hause keine Mehrheit finden.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÃœNDNISSES 90/DIE GRÃœNEN)

—————————————————————————————————————————————————-

Links

Plenarprotokoll