Interview mit Hans-Peter Bartels im Deutschlandfunk am 29.09.2014

Die Bundeswehr müsse zügig wieder voll einsetzbar sein, sagte der Chef des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Hans-Peter Bartels (SPD), im DLF. Laufende Einsätze der Truppe seien nicht gefährdet, doch könnte die Bundeswehr beispielsweise ihre Bündnisse im Ernstfall nicht verteidigen.

Die Missstände bei der Bundeswehr hätten sich über Jahre hinweg aufgebaut, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ein großer Fehler sei der Stopp der Ersatzteilbestellung 2010 gewesen, der aus heutiger Sicht absolut nicht nachvollziehbar sei.

Laufende Einsätze der Truppe sind laut Bartels nicht gefährdet, jedoch kann die Bundeswehr aktuell im Ernstfall ihre Bündnisse wie die NATO beispielsweise nicht verteidigen. Zum mangelhaften Material der Bundeswehr kommen Engpässe beim Personal hinzu.

„Die Soldaten befinden sich am Rand der Belastungen“. Hans-Peter Bartels sieht allerdings bei der Misere keine Versäumnisse der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Sie sei noch kein Jahr im Amt und habe sich bislang anderen Projekten zugewandt. Jetzt müsse sie allerdings unverzüglich handeln, um die Bundeswehr wieder voll einsetzbar zu machen.


Das Interview in voller Länge:

Christiane Kaess: Im Ernstfall eines Angriffs, etwa auf ein baltisches NATO-Mitglied, könnte die Bundeswehr die 60 angemeldeten Eurofighter für die NATO nicht stellen. Dieses Beispiel bringt auf den Punkt, was in den letzten Tagen nach und nach ans Licht gekommen ist: die massiven Mängel bei der Ausrüstung der Bundeswehr. Es war wie ein Offenbarungseid im Verteidigungsausschuss letzte Woche. Dort informierten Inspekteure der Bundeswehr die Parlamentarier. Egal ob zu Wasser, Luft oder auf dem Land, nur etwa die Hälfte des Gerätes der Bundeswehr ist einsatzfähig, teilweise noch weniger. Am vergangenen Freitag gab es deshalb im Verteidigungsministerium eine Krisensitzung und über das Wochenende hagelte es dann Kritik am Zustand der Bundeswehr, die gerade mit den Waffenlieferungen für den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat und bei der Hilfe im Kampf gegen Ebola eine wichtige Rolle spielen soll.

Am Telefon ist der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels. Er ist Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Guten Morgen!

Hans-Peter Bartels: Guten Morgen!

Kaess: Deutschland ist nicht in der Lage, gegenüber der NATO seine Zusagen zu erfüllen. Hat Sie eigentlich das Fazit der Verteidigungsministerin vom Wochenende noch überrascht?

Bartels: Die Verteidigungsministerin ist ja, glaube ich, von den Berichten selbst etwas überrascht gewesen. Es war eine Initiative des Verteidigungsausschusses, dass wir uns berichten lassen wollten über den Zustand des Materials, das jetzt in der Bundeswehr ist. Es ging hier nicht um die zulaufenden Projekte, sondern das, was zum Teil über Jahre in der Bundeswehr einsatzfähig sein sollte, aber, wie wir in dem Gesamtbild festgestellt haben, nicht voll einsatzfähig ist.

Kaess: Wie kann denn die Verteidigungsministerin davon überrascht sein?

Bartels: Sie ist selbst noch kein Jahr im Amt. Sie hat sich zunächst mal mit anderen wichtigen Baustellen beschäftigt.

Kaess: War das ein Fehler?

Bartels: Nein. Aber Attraktivität der Bundeswehr in Zeiten des demografischen Wandels bei Aussetzung der Wehrpflicht ist ein Riesenthema, genauso wie die Beschaffungsprojekte, die sie ja noch mal hat überprüfen lassen, also die Projekte mit dem neuen Gerät, A400M und Hubschrauber. Was sie jetzt zusätzlich in den Blick nehmen muss, ist der Zustand des Materials, das wir in der Bundeswehr haben.

„Aber es ist schon blamabel“

Kaess: Aber hätte die Einsatzfähigkeit nicht an erster Stelle stehen müssen?

Bartels: Die Einsatzfähigkeit für die jetzt laufenden Einsätze steht ja nicht infrage. Aber es ist schon blamabel, wenn von dem Gerät, das ja teuer gekauft worden ist mit Steuergeld, große Teile einfach nicht zur Verfügung stehen auch für andere Aufgaben, etwa Bündnisverteidigung, die jetzt nicht ansteht, aber wo es immer wichtig ist, dass in der NATO sich die Partner aufeinander verlassen können, dass sie auch größere Beiträge gemeinsam leisten können.

Kaess: Sie haben jetzt gerade eine Einschätzung von der Verteidigungsministerin selber wiederholt, nämlich dass für die laufenden Missionen die Bundeswehr voll einsatzfähig ist. Aber daran gibt es ja offenbar Zweifel von führenden Militärs. Zum Beispiel der Inspekteur der Luftwaffe soll dem Verteidigungsausschuss erklärt haben, dass die Luftwaffe an die Grenzen ihrer Einsatzbereitschaft stößt, und da wurde als Beispiel genannt der Einsatz der Patriot-Flugabwehrraketen in der Türkei, der personell kaum noch durchzuhalten sei.

Bartels: Genau. Das ist jetzt kein materielles Problem, sondern ein personelles. Das, was an Material dort ist, hat auch Probleme. Dafür werden Systeme in Deutschland ausgeschlachtet, um die Einsatzbereitschaft in der Türkei auf dem notwendigen hohen Niveau zu halten. Nein, ein anderes Problem dieser Bundeswehrreform ist die mangelnde Durchhaltefähigkeit in einigen wichtigen Bereichen. Da ist nicht genug Personal vorhanden. Das gilt offensichtlich auch für die bodengebundene Luftabwehr.

Kaess: heißt aber auch, die laufenden Einsätze sind eigentlich gefährdet?

Bartels: Nein. Man kann das ja leisten. Aber man geht damit wirklich an den Rand der Belastungen, in diesem Fall des Personals. In anderen Fällen, Transall-Lufttransport, des Personals und des Materials. Wir haben hier sehr alte Flugzeuge und von den Flugzeugen, die im Moment noch im Buchbestand sind, kann nur ein Bruchteil eingesetzt werden.

Kaess: Also es kann jederzeit zu Ausfällen kommen?

Bartels: Es ist ja zu Ausfällen gekommen. Auf dem Weg nach Erbil wurden vier Transall-Transportmaschinen gebraucht, um sechs Soldaten für die Einweisung der Peschmerga-Kämpfer dort hinzubringen. Das Material, das transportiert werden sollte, kam auch nicht zeitgerecht an.

„Bei der Marine fehlen ganze Laufbahnen“

Kaess: Das ist bekannt, Herr Bartels. Aber wie kann man denn dann sagen, dass die Bundeswehr in den laufenden Einsätzen voll einsatzfähig ist?

Bartels: Na ja, wir haben ja Einsätze im Kosovo, in Afghanistan, wo mit dem Material der Bundeswehr und insbesondere dem Personal, das da eingesetzt wird, genau die Aufträge, die man hat, erfüllt werden. Das sind nicht riesige Einsätze. Wir haben im Moment etwas über 3000 Soldaten gleichzeitig im Auslandseinsatz. Die Bundeswehr hat 185.000 Soldaten. Aber das Material, das wir haben, ist zu einem zu großen Anteil eben nicht einsetzbar und beim Personal haben wir in einigen Bereichen solche Mängelfähigkeiten. Auch bei der Marine fehlen ganze Laufbahnen, wo kaum Personal ausgebildet ist, sodass die Soldaten dort wirklich doppelt und dreifach belastet sind.

Kaess: Herr Bartels, laut dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ist die Liste aus dem Ministerium, die an die Parlamentarier im Verteidigungsausschuss gegeben wurde und die das Material beschreibt, geschönt gewesen. Fühlen Sie sich getäuscht?

Bartels: Nein, nicht getäuscht. Wir haben eine Liste bekommen, die gegenüber dem, was wohl im Ministerium zirkulierte, stark vereinfacht war. Aber die hat schon das Bild transportiert, über das wir jetzt ja diskutieren, nämlich die mangelnde Einsatzbereitschaft des Materials.

Kaess: Aber ich möchte mal ein Beispiel herausgreifen. Es heißt, dass auf der Liste für die Parlamentarier die Zahl der einsatzfähigen Transporthubschrauber eines bestimmten Typs mit 16 angegeben wurde und ein internes Papier im Ministerium nur sieben benennt. Das ist doch ein gravierender Unterschied.

Bartels: Nein. Man hat da zwei Kategorien zusammengefasst. Das ist ein bedingt einsatzfähiger Klarstand und die volle Einsatzfähigkeit.

„Ãœber Jahre hat sich hier ein Problem aufgebaut“

Kaess: Und das hätte man gegenüber den Parlamentariern nicht klar darstellen müssen?

Bartels: Absolut! Das hätte man darstellen können. Aber ich glaube, das Bild, das vermittelt wurde über die Hauptwaffensysteme der Bundeswehr – das ist ja nicht eins, sondern das sind ja über 20 gewesen mit vielen Zahlen -, ist schon alarmierend genug gewesen. Ich kritisiere jetzt nicht, dass es andere Papiere im Ministerium gibt, die wir im Ãœbrigen natürlich auch bekommen können. Da liegt das Problem nicht in den Papieren, sondern darin, dass über Jahre sich hier ein Problem aufgebaut hat, das jetzt angegangen werden muss.

Kaess: Ihr Kollege Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, der sieht das nicht ganz so gelassen wie Sie. Der sagt, wir lassen uns nicht für dumm verkaufen.

Bartels: Nein! Wir können diese Papiere ja anfordern. Wir haben zum Beispiel auch gefragt nach Kosten. Ãœber Kosten ist gar nicht geredet worden in der Sitzung. Andererseits: Es war schon so viel zu bereden, was da vorgetragen wurde von den Inspekteuren, dass ich glaube, wir haben Stoff genug, um uns in den nächsten Wochen, wo ja auch wieder Haushaltsberatungen anstehen, mit dieser Thematik zu beschäftigen und dann auch mit weiteren Zahlen. Das Ministerium ist jedenfalls inzwischen in der Lage – sie haben selbst die Zahlen zusammengetragen, die sie offenbar vorher nicht vorliegen hatten -, Auskunft zu geben.

Kaess: Ist es eigentlich noch verantwortungsvoll, Soldaten mit diesem Material in den Einsatz zu schicken?

Bartels: Wie gesagt, für die Einsätze, die tatsächlich geleistet werden, ist das Material voll einsetzbar. Und es ist im Übrigen ja auch viel modernes Material in den letzten Jahren dazugekommen. Unser Problem ist, dass die Bundeswehr ja zunächst mal ein größerer Personalkörper ist und auch eine größere militärische Einsatzbereitschaft haben muss für ganz andere Fälle, wo es nicht um das Schicken von einzelnen Soldaten oder von Kontingenten geht, einzelne etwa nach Zentralafrika, vier Stabssoldaten oder Ausbilder nach Somalia, auch vier, oder einige hundert ins Kosovo. Das ist nach wie vor sehr gut zu leisten. Aber Themen der Bündnisverteidigung sind, glaube ich, in den letzten Jahren wirklich vernachlässigt worden und wir sehen in den Krisen der Gegenwart, dass wir das nicht vernachlässigen dürfen.

Kaess: Wer trägt denn jetzt eigentlich die Schuld für die Missstände, die Verteidigungsministerin?

Bartels: Das hat sich über Jahre aufgebaut. Ein Missstand resultiert sicher aus dem Stopp der Ersatzteilbeschaffung 2010, von dem ich auch erst jetzt bewusst erfahren habe.

Kaess: Wie kann das eigentlich sein? Warum hat eigentlich das Parlament da nicht früher nachgehakt?

Bartels: Ja, gute Frage. Warum ist das nicht berichtet worden? Wie kann ein Minister …

„Ersatzteilbevorratung ist schon ein wichtiger Aspekt der Materialerhaltung“

Kaess: Aber Sie kommen doch an die Informationen, wenn Sie wollen.

Bartels: Ja! Es sind Tausende von Informationen, die Sie bekommen, und Hunderte von Informationen, die davon wichtig sind. Was mich wundert ist, dass man im Jahr 2010 für die Luftwaffe offenbar in einzelnen Bereichen keine Ersatzteile mehr beschafft hat, dann im selben Jahr feststellt, nun gut, es funktioniert ja, im nächsten Jahr funktionierte es auch noch, jetzt funktioniert es aber nicht mehr. Ersatzteilbevorratung ist schon ein wichtiger Aspekt der Materialerhaltung, übrigens ein Bereich, für den tatsächlich auch mit neuen Systemen nicht weniger, sondern in Zukunft mehr Geld ausgegeben werden muss.

Kaess: Da gibt es offenbar Leute, die sind da ganz gut informiert. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, der hat bei uns im Deutschlandfunk gesagt, da ging es genau um diesen Stillstand im Beschaffungsbereich, und er hat gesagt, dass die derzeitige Regierung in ihrer bisherigen Amtszeit auch wenig gegen die Missstände getan hat.

Bartels: Wir versuchen ja, genau das jetzt zu thematisieren. Frau von der Leyen hat selbst die Überprüfung der laufenden Beschaffungsprojekte angeordnet. Anfang Oktober soll jetzt das Ergebnis vorliegen. Und wir als Ausschuss haben uns mal den Klarstand in der Bundeswehr mit dem Material, das sie jetzt hat, vorgenommen. Ich glaube, so kommen wir zu einem besseren Lagebild. Überhaupt das Problem zu erkennen, ist schon mal ganz gut, wenn man es abstellen will. In der Vergangenheit wurde ja oft so getan, als ob Fragen der Materialerhaltung und des Klarstandes der Einsatzfähigkeit eigentlich gar kein Problem seien, sondern man an der Sparschraube drehen kann wie man möchte. Der Verteidigungsminister zu Guttenberg hat damals erhebliche Beiträge dazu geleistet, aber eben auch de Maizière, der zum Beispiel mit seiner Entscheidung zur Bundeswehrreform die Materialausstattung von 100 Prozent auf 70 bis 80 Prozent in den Verbänden gesenkt hat. Das haben wir damals heftig kritisiert, es wird aber so umgesetzt. Ich würde Frau von der Leyen bitten, sich das noch mal sehr genau anzugucken. Ich glaube, wir sollten wieder auf eine 100-Prozent-Ausstattung der Verbände kommen.

Kaess: Die Meinung von Hans-Peter Bartels von der SPD, er ist Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Danke für das Gespräch.

Bartels: Sehr gern!

Hier können Sie das Interview hören.