Rede von Hans-Peter Bartels vor dem Deutschen Bundestag am 4. Dezember 2002

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von der Opposition, es ist immer wieder ein kostbares Gefühl, in älteren Protokollen zu blättern und zu sehen, wie sich Ihre Argumentation seit damals verändert hat. Da lesen wir im Stenografischen Bericht über die Haushaltsberatungen 1997 in der Rede von Herrn Kollegen Austermann:

Die notwendige Modernisierung der Bundeswehr muss wegen der veränderten Finanzsituation gestreckt werden.

(Dr. Elke Leonhard [SPD]: Hört! Hört!)

Kollege Rühe sagte:

Das, was eingespart werden muss, muss bei den Beschaffungen eingespart werden. Einige Sachen müssen gestrichen werden und andere Sachen müssen gestreckt werden.

So war das mit den Sachen 1997. Streichen, Strecken und Deckeln, das war Ihre Politik nach 1990. Ohne Strukturkonzept! Bundeswehrpolitik nach Kassenlage! Damit haben wir Schluss gemacht.

(Beifall bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/ CSU]: Und ohne internationale Einsätze!)

Noch einmal ein Zitat von Volker Rühe, diesmal zur Rechtfertigung des Haushalts 1998:

Welche Größenordnung eine Armee auch immer hat, sie wird immer knapp bei Kasse sein, und – das wird Sie vielleicht wundern – in einem gewissen Umfang ist es auch notwendig. Ich kenne keine Armee auf der ganzen Welt, die finanziell üppig versorgt wäre.

Wo er Recht hat, hat er Recht.

Üppig war es nicht, üppig ist es nicht und üppig wird es auch in Zukunft nicht sein. Diese Realität sollten auch Sie heute anerkennen. Wenn Sie für die Bundeswehr mehr verlangen, dann sollten Sie sagen, wo Sie das heute bei veränderter Kassenlage – sie verändert sich immer; das war so in Ihrer Zeit und ist zu unserer natürlich auch so – hernehmen wollen. Sagen Sie, wie Sie Mehrausgaben für die Bundeswehr finanzieren wollen! Es nur zu fordern ist einfach und billig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dietrich Austermann [CDU/CSU])

– Für Kiel immer.

Wir haben für die Jahre 2003 bis 2006, also für die nächsten Jahre, eine verlässliche, stabile Haushaltslinie: 24,4 Milliarden Euro. Stabil viermal dieselbe Summe! Damit steigt der Anteil des Verteidigungsetats am Gesamthaushalt wieder; denn die Gesamtausgaben des Bundes werden sinken. Sie müssen sinken, weil wir die Einkommensteuersätze und die Nettoneuverschuldung weiter senken. Gegenüber 2002 gehen die Gesamtausgaben des Bundes 2003 um 1,5 Prozent zurück. Wenn man den Nachtragshaushalt berücksichtigt, den wir in dieser Woche beschließen, dann wird der Rückgang von 2002 auf 2003 sogar bei 1,8 Prozent liegen.

Der Bundeswehretat bleibt dagegen stabil. Die Bundeswehr bleibt ganz solide finanziert, wenn wir jetzt die Strukturreform und insbesondere die Beschaffungen langfristig nachjustieren. Die Bundeswehr braucht an ihrer finanziellen Basis Verlässlichkeit und Planbarkeit. Genau das garantiert die Politik, die wir jetzt machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÃœNDNIS 90/ DIE GRÃœNEN)

Uns allen miteinander muss klar sein, dass die Bundeswehr keineUniversalarmee werden kann. Sie war nie eine Universalarmee, sie ist keine und sie muss es auch in Zukunft nicht sein. Natürlich gibt es hier und da – in der Politik und auch in den Streitkräften – noch das absolute Souveränitätsdenken, wonach deutsches Militär alles selbst können muss. Nach diesem Ideal streben wir nicht. Wir müssen uns nicht entschuldigen, wenn wir es nicht erreichen; denn es ist nicht die regulative Idee unserer Sicherheitspolitik.

Wir Deutsche waren, als es vor allem um unsere eigene Sicherheit ging, auf starke Bündnispartner angewiesen, auf Bündnispartner, die über die Mittel verfügten, die Seewege über den Atlantik und den Himmel über Deutschland offen zu halten. Wir konnten, wollten und mussten uns im Kalten Krieg nicht allein auf uns selbst verlassen. Warum sollten wir dann jetzt, da wir vor allem ein Partner für andere sind, den Anspruch erheben, ganz allein handeln zu können? Die Bundeswehr muss nicht alles können.

Klar ist aber auch: Sie muss heute anderes können. Sie muss verlegefähiger, durchhaltefähiger und zusammenarbeitsfähiger sein. Deshalb war die Bundeswehrreform 2000 ein Aufbruch zu neuen Ufern. Ich glaube, im Grundsatz bestreitet niemand in diesem Hause, dass die Richtung stimmt. Über die Frage der Mittel, der finanziellen und der militärischen, lohnt es sich immer wieder nachzudenken. Als Konsequenz des Denkens lohnt es sich außerdem, nachzusteuern.

Wenn wir eine gewisse Arbeitsteilung in Europa und in der NATO – beide werden in absehbarer Zeit größer sein – wollen, dann müssen wir etwas tun, was Soldaten gewiss ungern tun: erklären, was wirklich unsere Stärken sind, was wir in Bündnisse und Koalitionen besonders einbringen wollen und wo wir uns stärker auf die Fähigkeiten anderer verlassen wollen.

Ich glaube, dass es uns dabei gut ansteht, bei der Bewältigung der besonders komplexen, der besonders anspruchsvollen Aufgaben voranzugehen, gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien oder Italien. Marinefliegerei, Sanitätsversorgung, Aufklärung oder auch moderne, mobile bodengebundene Luftabwehr werden für andere europäische Bündnispartner noch schwerer

Also: Der Mut zur Erweiterung der NATO wird nur dann praktisch, wenn wir uns auch zutrauen, zu differenzieren, das heißt, die Fähigkeiten der einzelnen Partner innerhalb des neuen Ganzen zu spezialisieren. Das hat Grenzen; das ist völlig klar. Es muss Redundanzen geben. Aber dies ist die Richtung: Integration und Differenzierung. Das – nicht die einsame deutsche Universalarmee – soll die regulative Idee unserer Sicherheitspolitik auf lange Sicht sein.

Einige Worte zu unseren amerikanischen Freunden. Manchmal, wenn man die Verlautbarungen der europäischen wehrtechnischen Industrie zur Kenntnis nimmt oder manche politische Stimme diesseits des Atlantiks hört, könnte man meinen, wir stünden kurz vor dem Beginn eines neuen Wettrüstens mit unserem größten Verbündeten, wir Europäer müssten alles, was die Amerikaner haben, auch haben – um ernst genommen zu werden, heißt es dann. Dieses transatlantische Konkurrenzdenken geht meines Erachtens in die Irre. Wir brauchen gewiss manch neue, andere und zusätzliche Fähigkeit in den europäischen Streitkräften, aber nicht immer mehr von genau dem, was der amerikanischen Politik zur Verfügung steht.

Niemand sollte sich teuren Illusionen hingeben: Die wirklich großen Konflikte dieser Welt sind ohne oder gegen die USA nicht lösbar. Sie sind aus unserer Sicht auch kaum in erster Linie militärisch lösbar. Wenn aber doch, dann werden es kaum die Europäer sein, die ohne amerikanische Beteiligung oder gar gegen den Rat der USA selbst militärisch intervenieren. Deshalb gilt im Verhältnis zu den USA: mehr Selbstständigkeit ja, gerechtere Lastenverteilung – Burden Sharing – ja, aber keine Verdopplung oder Verdreifachung von Kapazitäten aus Prinzip, keine ehrpusselige Konkurrenz.

Der Historiker Heinrich August Winkler schreibt in einem Zeitschriftenbeitrag über die neue NATO:

Amerika militärisch einzuholen und selbst Supermacht zu werden: Niemand käme auf den Gedanken, der EU ein derart unrealistisches Ziel anzusinnen.

Aber nötig sei

ein Mindestmaß gemeinsamer militärischer Kapazitäten, um in Fragen der eigenen Sicherheit nicht nur auf die USA angewiesen zu sein.

Zu diesem Minimum gehören ohne Zweifel das neue europäische Transportflugzeug A400M, der NH90, der Tiger, wenn auch vielleicht – der Panzerbedrohung hier und anderswo entsprechend – in verringerter Stückzahl, der Eurofighter mit der entsprechenden Bewaffnung Meteor und Iris-T, der Schützenpanzer 3, die neuen U-Boote und Korvetten, Seefernaufklärer und Aufklärungssatelliten – immer der Maßgabe des Vorvorgängers Rühe folgend: Es ist nie genug, aber nicht alles ist finanzierbar. Ich bin dankbar dafür, dass dies auch innerhalb der Bundeswehr so gesehen wird. Unsere Soldaten sind Realisten.

Vor einigen Wochen habe ich das deutsche Marinekontingent in Dschibuti besucht. Das ist keine schöne Gegend, der Dienst dort ist nicht leicht, aber die Einstellung vieler Soldaten ist erstaunlich. Sie sind auch an diesem Ende der Welt neben ihrem eigentlichen Auftrag, dem Antiterrorkampf, gute Botschafter unseres Landes. Sie helfen bei der medizinischen Versorgung, sammeln Geld für das örtliche Waisenhaus, lassen sich, auch wenn das nicht ganz ungefährlich ist, in der Stadt sehen und arbeiten mit vielen lokalen Institutionen zusammen. Sie sind auch in der Fremde Staatsbürger in Uniform, dank innerer Führung frei zum Kontakt mit der Außenwelt.

Ich will damit sagen, dass bei allen Fähigkeiten, die von der Ausrüstung und der Struktur der Bundeswehr abhängen, eine Fähigkeit ganz kostengünstig ist bzw. gar nicht zu bezahlen wäre: Das ist das Selbstbewusstsein unserer Soldaten. Darauf baut alles andere auf. Dafür sollten wir hier gemeinsam sorgen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÃœNDNIS 90/ DIE GRÃœNEN)

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